Rom, 9. Januar 2023 – Vor wenigen Tagen hat der Iran Mohammad Mehdi Karami und Seyyed Mohammad Hosseini hingerichtet, nachdem die beiden Männer kurz zuvor angeklagt und in einem schnellen Prozess verurteilt worden waren. Diese Tragödie ist ein weiteres Beispiel für das unmenschliche Verhalten des Regimes.
Inmitten der seit September vergangenen Jahres anhaltenden Proteste hat im Iran ein weiteres turbulentes Jahr begonnen. Der Tod von Mahsa Amini gab den Volksunruhen neuen Auftrieb und löste eine neue Protestwelle der Menschen gegen das bestehende Regime aus.
Der bekannten Autorin von City of Lies (Stadt der Lügen) Ramita Navai zufolge, ließe sich die von Frauen geführte Revolution im Iran nicht mehr aufhalten.
Der Aufstand habe inzwischen weitreichende Dimensionen angenommen und sei bei weitem nicht mehr nur ein Protest der Frauen.
Es sei bezeichnend, dass der Vorstoß für einen radikalen Wechsel im Iran von ihnen ausgeht, deren Beharrlichkeit trotz Verfolgung und brutaler Gewalt ungebrochen ist.
Berichten aus zuverlässigen Quellen außerhalb des Irans zufolge wurden bisher mindestens 20.000 Personen verhaftet. Dabei ist die Reaktion der Regierung auf die friedlichen Proteste nur eine von den vielen schrecklichen Übergriffen. Immer häufiger wird über physische und psychische Folter, Vergewaltigung und erzwungene Geständnisse berichtet. Viele inhaftierte Menschen sind leider verstorben, und ihre Geschichten bleiben weitgehend unbekannt.
Die in Großbritannien lebende iranische Journalistin Ramita Navai kann sich vorstellen, unter welchen Bedingungen die Gefangenen nach den Verhaftungen durch die iranischen Sicherheitskräfte leben. Sie selbst hält sich für eine der wenigen, die Glück hatten. Nach ihrer Festnahme übte der Journalist Jim Muir von der BBC Druck auf die Regierung aus und warnte vor einem internationalen Skandal. Infolgedessen wurde Navai sofort wieder freigelassen.
Ramita zufolge ist dies eine kritische Zeit, und es gibt keinen Weg zurück von den aktuellen Demonstrationen. Diese Proteste seien anders als alles, was wir bisher gesehen haben. Bezeichnenderweise erstreckten sich die jüngsten Proteste im Iran über alle sozialen Schichten und fanden in allen Teilen des Landes statt. Dadurch wurden die Demonstrationen zu einer einzigen Bewegung mit dem gemeinsamen Ziel, gegen das Regime Stellung zu beziehen. „Auch wenn sich die politische Atmosphäre geändert hat, glaube ich nicht, dass das derzeitige Regime sofort zusammenbrechen wird“, meint Ramita. „Aber eine ganz andere Zukunft für den Iran ist jetzt auf eine Weise Realität geworden, wie sie es vor einem Jahr noch nicht war”.
Besonders gut sind die iranischen Frauenrechtsorganisationen und feministischen Netzwerke organisiert, wahrscheinlich, weil sie schon so lange an die Mobilisierung gewöhnt sind. Trotz des Risikos, verhaftet und inhaftiert zu werden, schreiben die Frauen weiter geheime Botschaften und arbeiten mit anderen Aktivisten im Gefängnis zusammen.
Navai ist der Ansicht, dass dieser Moment eine große Chance für iranische Frauen und insbesondere für Frauen der Generation Z ist.
Im Jahr 2009 erlitten die Frauenverbände aufgrund ihres Widerstands gegen die Regierung einen schweren Schlag. Heute dreht sich der Wind, und wir erleben die Resilienz dieser Organisationen. „Damals“, sagt Ramita, „waren es die Menschen in meinem Alter, die angesichts der derzeitigen Situation Angst hatten und vorsichtig waren. Die so genannte Generation Z ist jedoch absolut furchtlos. Meine Generation dachte immer, sie hätte etwas zu verlieren. Das Regime ist sehr gut darin, den Menschen gerade genug Freiheit zu geben, um sie ruhig zu halten. Diese Generation junger Menschen ist jedoch in einer ganz anderen Welt aufgewachsen, einem voll vernetzten Iran, in dem sie von der globalen Populärkultur beeinflusst wurde. Sie wissen, was es da draußen in der Welt gibt. Sie kennen alle Möglichkeiten, die ihnen verfügbar und zugänglich sein sollten, und sind daher wütend und furchtlos”.
In jüngster Zeit haben prominente Iraner wie Taraneh Alidoosti und eine Frauen-Basketballmannschaft ihren Unmut durch öffentliche Proteste zum Ausdruck gebracht. In ihrer „Stadt der Lügen“ geht Navai auf ein Thema ganz besonders ein: das große Maß an Heuchelei, das die iranische Regierung an den Tag legt. Sie erzählt von kirchlichen Persönlichkeiten, die Prostituierte benutzen, und von der Allgegenwart von Pornografie.
„Dies ist einer der vielen Gründe, warum die Iraner genug haben”, sagt Navai. „Das Regime ist nicht nur politisch korrupt, sondern auch moralisch. Während der Staat die Gesetze durchsetzt, die die intimsten Angelegenheiten seiner Bürger regeln, machen die Machthaber, was sie wollen. Sie haben Leute an der Macht, deren Kinder im Iran und auf der ganzen Welt Partys feiern, Drogen nehmen, tragen, was sie wollen, und normale sexuelle Beziehungen haben, die unter dem Regime nicht erlaubt sind. Es ist diese Doppelmoral, die die Menschen endlich satt haben”.
Trotz all dieser Berichte gibt es immer noch einen Aspekt, der nur schwer ans Licht kommt: das Schicksal der christlichen Minderheiten im Iran. Die aktuellen Proteste werden von unterschiedlichen Motiven angetrieben, wie soziale und politische Missstände, aber auch die Religionsfreiheit. Für Hormoz Shariat, den Präsidenten von Iran Alive Ministries, findet im Iran derzeit ein „geistiges Erwachen“ statt.
Von den über 86 Millionen Einwohnern des Landes sind zwei Millionen Christen, die von der Regierung besonders stark unterdrückt werden. Restriktionen und Verfolgungen machen das Christentum im Iran zu einer der am meisten verfolgten Religionen. Das iranische Regime betrachtet die Christen als eine Art „fünfte Kolonne“, die weiterer Gewalt ausgesetzt werden soll.
Offiziell sind kirchliche Versammlungen nicht erlaubt, und die Bibel gehört zu den vom Regime verbotenen Büchern. Eine bedrückende Situation, die oft auch ohne gewaltsames Eingreifen der Polizei zu subtilen Formen von Denunziation führt, die in Selbstmord oder Sucht münden.
Die Proteste der letzten Monate fielen daher mit einem Anstieg der Zahl der Christen, insbesondere der evangelischen und protestantischen, zusammen. Christen, die bei verschiedenen internationalen protestantischen Organisationen nicht nur Gehör, sondern auch Unterstützung, Fürsprache und Schutz finden.
Von besonderer Bedeutung ist die Aktion der ELCA (Evangelical Lutheran Church in America), einem Mitglied des Lutherischen Weltbundes (Federazione Luterana Mondiale), und der ALAMEH (Association of Lutherans of Arab and Middle Eastern Heritage), die sich für die Unterstützung von Christen einsetzen, die im Iran Opfer von Verfolgung und Gewalt sind.
Die tägliche Unterdrückung wirkt sich also nicht nur auf die materiellen Lebensbedingungen, sondern auch auf die spirituelle Sphäre der Iraner aus.
Eine Umfrage des Forschungsunternehmens Gamma aus dem Jahr 2020 ergab, dass von 50.000 Iranern nur 32 % an den Islam glaubten, während 33 % behaupteten, es gäbe keinen Gott oder die Religion sei für das tägliche Leben nicht relevant. Das verbleibende Drittel testet „alles außer dem Islam“ als eine spirituelle Option.
Für den Präsidenten der Association of Lutherans of Arab and Middle Eastern Heritage (ALAMEH), Pastor Khader El-Yateem, „steht die Vereinigung der Lutheraner arabischer und nahöstlicher Herkunft den Frauen und Jugendlichen im Iran in ihrem Kampf für Gleichberechtigung zur Seite und unterstützt ihren Kampf für Gerechtigkeit, für Freiheit von Unterdrückung und gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung.“
Noch viel weiter gegangen sind die arabischen Lutheraner, indem sie den Umfang ihres Engagements zugunsten der „Führer der Revolution“ definierten. „Wir beten für die Familien, die Angehörige durch die iranische Regierung verloren haben; für die in der Diaspora lebenden Iraner, die nicht nach Hause zurückkehren können; für ein Ende der staatlich sanktionierten Gewalt gegen iranische Bürger. Und wir beten für Befreiung, Freiheit und Frieden.“
Ein Engagement, das man als „politisch“ bezeichnen könnte, das aber für Lutheraner einfach Treue zum Evangelium bedeutet: sich den Letzten zuzuwenden, den Leidtragenden, den Frauen und Männern, die in dieser brisanten Situation Gefahr laufen, noch stärker verfolgt zu werden.
Gegenwärtig befinden sich fünfzehn inhaftierte iranische Frauen im Hungerstreik, um auf ihre schlechten Lebensbedingungen aufmerksam zu machen.
Im vergangenen November hatte CNN eine Untersuchung über die sexuelle Folter und Vergewaltigung veröffentlicht, der weibliche Gefangene während der jüngsten Proteste ausgesetzt waren, darunter die 22-jährige Armita Abbasi.
Fünfzehn iranische Frauen, die im Kachoui-Gefängnis in der Nähe von Teheran inhaftiert sind, sind deshalb in einen Hungerstreik getreten, um gegen die Haftbedingungen und die mangelnde medizinische Versorgung in der Einrichtung zu protestieren.
Zu den Frauen, die sich im Hungerstreik befinden, gehören die 22-jährige Armita Abbasi selbst, die am 10. Oktober in Karadsch von Sicherheitskräften verhaftet wurde, aber auch die 32-jährige Elham Modaresi, eine iranische Malerin und Intellektuelle.
Abbasis Mutter berichtete auf ihrem Instagram-Account, dass die Gefängnisbehörden ihrer Tochter aufgrund des Hungerstreiks nicht mehr erlaubten, ihre Familie anzurufen. Sie erklärte auch, dass das Gericht den Anwalt, der ihre Tochter vertritt, nicht akzeptiert habe.
In den vergangenen Wochen hatte der Anwalt des zum Tode verurteilten Mohammad Mehdi Karami ein ähnliches Verhalten des Gerichts ihm gegenüber bestätigt. Dies steht im Widerspruch zu der jüngsten Erklärung des Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes, dass alle Gefangenen das Recht haben, einen Anwalt zu wählen.
In Europa äußern sich verschiedene Politiker, Intellektuelle und religiöse Persönlichkeiten besorgt über den Gesundheitszustand der Gefangenen und erhöhen den Druck auf die iranischen diplomatischen Vertretungen, um nicht nur das Recht auf Verteidigung und ein faires Verfahren zu gewährleisten, sondern auch die medizinische Versorgung der Gefangenen zu fordern.
Laut Berichten in den sozialen Medien handelt es sich bei den anderen inhaftierten Demonstrantinnen, die sich dem Hungerstreik angeschlossen haben, um Fatemeh Nazarinejad, Fatemeh Mosleh Heidarzadeh, Niloufar Shakeri, Marzieh Mirghasemi, Shahrazad Derakhshan, Fatemeh Jamalpour, Hamideh Zeraei, Nilofar Kerdoni, Somayeh Masoumi, Fatemeh Harbi, Eniseh Mousavi, Jasmin Haj Mirzamohammadi und Maedeh Sohrabi.
Nach Angaben der aktivistischen Nachrichtenagentur HRANA wurden seit dem 2. Januar bei den Unruhen mindestens 516 Menschen getötet, unter ihnen 70 Minderjährige, während die Sicherheitskräfte versuchen, jeglichen Dissens zu unterdrücken.
Die Situation ist also komplex und das Leid groß. Von uns wird ganz sicher erwartet, für die Leidenden und für die von so viel Gewalt Betroffenen zu beten. Aber auch, uns zu engagieren, damit das Leid der iranischen Frauen und Männer und der jungen Iraner von uns anerkannt wird, und uns dafür einzusetzen, dass unsere Gemeinschaften, die Kirchen, alle rechtlich und demokratisch möglichen, aber auch die heimlich notwendigen Schritte unternehmen, damit das iranische Volk nicht seinem Schicksal überlassen wird.
Quellen
- https://www.indexoncensorship.org/2023/01/ramita-navai-no-turning-back-from-irans-women-led-uprising/ (Interview Ramita Navai)
- https://www.mnys.org/alameh/
- https://blogs.elca.org/peacenotwalls/files/2022/11/ALAMEH-Statement-on-Iran-final.pdf
- https://www.iranintl.com/en/202301042383
- https://www.en-hrana.org/