
David und Goliath. Sich Herausforderungen durch Angstriesen stellen
Die aktuelle weltpolitische Lage, zunehmender Faschismus, der Klimawandel, aber auch Ereignisse im persönlichen Leben: Solche Faktoren können vor uns aufstehen wie Riesen, und wenn wir nur lange genug auf sie blicken, sind wir wie gelähmt und erstarrt und zu keiner Handlung mehr fähig. Wir lassen den Mut sinken und ziehen uns aus Welt und Öffentlichkeit zurück in das Schneckenhaus unseres kleinen, überschaubaren, privaten Lebens. Nur noch dort fühlen wir Ordnung und Sicherheit, nur noch dort handeln, agieren und leben wir.
Dass es so nicht sein muss, sondern wir auch angesichts von angsteinflößenden Riesen ruhig, besonnen und handlungsfähig bleiben können, zeigt uns die Bibel anhand etlicher Beispiele. Ich möchte die Geschichte von David und Goliath aus dem 1. Samuelbuch herausgreifen. Erstarrung und Handlungsunfähigkeit machte sich im Lager der israelitischen Soldaten und selbst bei ihrem König Saul breit, als der große Kämpfer der verfeindeten Philister, Goliath, aus der Schlachtreihe trat und das israelitische Heer herausforderte, einen Duellpartner zu stellen, der gegen ihn, Goliath, antreten würde. Wer im Duell gewinne, dessen Volk sollte das Volk des Verlierers zu Sklaven haben. Die Auftritte Goliaths zeigten Wirkung. Keiner der Israeliten rührte sich. Alle hatten Angst vor Goliath. Die Herausforderung Goliaths steckte allen in den Knochen: „Es soll einer kommen, damit ich mit ihm kämpfen kann!” Aber niemand kam. Da stapfte der Riese wieder ins Lager der Philister zurück. So ging das Tag um Tag, zwei Wochen lang.
Es kam erst dann Bewegung ins Heer der Israeliten, als David das israelitische Heerlager betrat. David war noch zu jung, um Soldat zu sein, er hütete zuhause die Schafe seines Vaters. Sein Vater hatte ihn geschickt, um nach seinen Brüder zu sehen, die Soldaten waren. Für David war es verwunderlich, dass sich keiner der Soldaten Israels dem Kampf mit Goliath stellen wollte. David bat (den sichtlich entsetzten) König Saul darum, selber gegen Goliath antreten zu dürfen, und legte Saul zwei Beweggründe vor: Einmal habe er die Fertigkeit, mit einer Schleuder umzugehen, und habe mit seiner Schleuder bei den Schafen schon Bären und Löwen in die Flucht getrieben. Außerdem sei er in solcher Gefahr stets von Gott bewahrt worden.
Saul stimmte der Bitte Davids zu und wollte David seine eigene Rüstung mit in den Kampf geben. Aber David lehnte die Rüstung ab, sie sei ihm zu groß und zu schwer. Stattdessen konzentrierte sich David gänzlich auf seine Fertigkeit und sammelte sich Steine für seine Schleuder. Der Ausgang des Kampfes wird den Allermeisten bekannt sein: David besiegte Goliath mit einem zielsicheren Schuss aus seiner Schleuder, und Israel schlug das Heer der Philister in die Flucht.
Ein moderner Zeitgenosse des 21. Jahrhunderts mit seiner fortgeschrittenen, humanen Kultur (die es allerdings auch in aktuellen Kriegsgebieten nicht gibt) mag an der alttestamentlichen Darstellung kriegerischer Handlungen und ihrer Grausamkeiten womöglich Anstoß nehmen. Dennoch sollten wir nicht übersehen, was uns mit dieser im Alten Testament überlieferten Geschichte von „David gegen Goliath“ gesagt sein soll: Angstriesen müssen uns nicht erstarren lassen. Im Vertrauen auf Gottes Hilfe und im Einsatz unserer eigenen Fähigkeiten können wir auch in Situationen von Gefahr und Angst handlungsfähig bleiben. Wir müssen uns nicht in unser Schneckenhaus zurückziehen, sondern können – wie David für sein Volk – auch öffentlich Verantwortung übernehmen.
Fragen wir uns persönlich:
Wo liegen meine Stärken, meine Fertigkeiten im Lösen von Konflikten? Bringe ich sie zum Einsatz?
Gibt es ein Bibelwort oder eine biblische Geschichte, die mich im Vertrauen auf Gott stärkt, dass Gott Herr meines Lebens und Herr dieser Welt ist?
Pfarrer Karl Steinbauer (1906-1988), der bedeutendste Gegner der Ideologie der Nationalsozialisten in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, nahm sich in der Zeit des Kirchenkampfes während des Dritten Reiches (1933-1945) auch die Person Davids zum Vorbild. Steinbauer sah Davids Kunst, ohne Angst dem Riesen entgegenzutreten, darin: „David sieht alles durch das Wort Gottes hindurch, dem er gehorsam ist. Er versteht die große Kunst, im Glauben gleichsam das Fernglas herumzudrehen, und da schauen sich die Burgen und festen Städte etwas anders an […], und da schauen sich auch die Menschen, die sonst vor uns dastehen wie himmellange Riesen […], auf einmal erbärmlich klein an, wirklich zum Erbarmen klein an, sobald ihre ganze Macht und Scheingröße an Gottes Macht und Größe sich messen lassen muß […]. Diese Schau durchs Wortglas […] hindurch ist uns bei David bezeugt nach der Weisung der Schrift: ‚Wenn ich schaue allein auf deine Gebote, so werde ich nicht zu Schanden.‘“ (aus: Karl Steinbauer, Vom Gehorsam des Glaubens. Mosepredigten, Seite 12.)
Durch das Wort Gottes betrachtet, können Angstriesen, die wir vor Augen haben, auf ihre eigentliche, realistische, menschliche Größe zusammenschrumpfen. Sollten wir es darum im 21. Jahrhundert nicht Menschen wie dem Hirtenjungen David und dem Kirchenkämpfer Karl Steinbauer gleichtun und uns im Vertrauen auf Gottes Wort den (Angst-)Herausforderungen unserer Zeit stellen? Wir würden im Kleinen, vielleicht auch im Großen, viel Gutes bewirken und eine Quelle des Lebens für viele Menschen unserer Umgebung sein.
Pfarrer Tobias Brendel, Gemeinde Turin