1. Was enthält die Patientenverfügung?

In einer PV geht es grundsätzlich um zwei Entscheidungen:

  1. Möchte ich, dass alle medizinischen Möglichkeiten bis zum Ende ausgeschöpft werden, um mein Leben in jedem Fall zu verlängern, auch wenn eine Heilung ausgeschlossen und eine angemessene Lebensqualität nicht (mehr) gewährleistet ist.

Oder

  1. Möchte ich in einer Situation, in der eine Heilung ausgeschlossen ist, lebensverlängernde Maßnahmen verweigern, die im Grunde nur das Leiden verlängern, aber keine Lebensqualität mehr garantieren. In der Patientenverfügung wird keine Entscheidung über mögliche palliative Behandlungen getroffen. Die Palliativbehandlung ist ein Grundrecht eines jeden Menschen und wird ohnehin angewandt.

Das Gesetz 209, Art. 4 basiert auf der Grundlage von fest verankerten Rechtsprinzipien:

  • Artikel 1 der Erklärung der Menschenrechte: Das Recht auf Menschenwürde
  • Artikel 32 der italienischen Verfassung: “Niemand darf zu einer bestimmten Gesundheitsbehandlung verpflichtet werden, es sei denn aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung. Das Gesetz darf unter keinen Umständen die durch die Achtung der menschlichen Person auferlegten Grenzen verletzen.“
  • Artikel 2 des italienischen Gesetz Nr. 38 vom 15. März 2010, das jedem Bürger im Rahmen der “Wesentlichen Betreuungsstandards” (livelli essenziali di assistenza) das Recht auf Palliativbehandlung zusichert.
  • Artikel 35 des „Codex deontologicus“ der Mediziner: „…Der Arzt muss den einsichts- und willensunfähigen Patienten nach bestem Wissen und Gewissen und unter Achtung der Würde des Menschen und unter Berücksichtigung von dessen Lebensqualität behandeln und unter Berücksichtigung des zu einem früheren Zeitpunkt geäußerten Willens des Patienten jede über das notwendige Maß hinausgehende Therapie vermeiden. (…) …Ist der Patient nicht in der Lage, seinen Willen zu äußern, muss sich der Arzt bei seinen Entscheidungen an frühere, sicher nachweisbare Äußerungen des Patienten halten.“

Je konkreter eine PV ist, desto besser. Deshalb sollte sie mit kompetenter Unterstützung erstellt werden. Diese Informationen sollte sie enthalten:

  • Aktueller Gesundheitszustand und Lebenssituation 
  • Reanimation 
    Wünschen Sie eine Wiederbelebung im Notfall? Unter welchen Umständen lehnen Sie eine Wiederbelebung ab? Unter welchen Umständen soll ein Reanimationsversuch abgebrochen werden?
  • Intensivmedizinische Therapie
    Stimmen Sie sämtlichen intensivmedizinischen und erforderlichen Operationsmaßnahmen zu? Gibt es Behandlungsgrenzen? Wann bevorzugen Sie einen Abbruch der intensivmedizinischen Maßnahmen und eine palliative Behandlung.
  • Palliative Therapie 
    Wie stehen Sie zu palliativen Behandlungsmaßnahmen? In welchen Fällen widersprechen Sie lebensverlängernden Maßnahmen wie maschinelle Beatmung, künstliche Ernährung, Dialyse, Reanimation oder Transplantationen und ziehen palliative Behandlungsmaßnahmen vor?
  • Diagnose- und Therapieverfahren 
    Gibt es Diagnose- und Therapieverfahren, die Sie grundsätzlich ablehnen? Hier können Sie zum Beispiel auf PEG-Sonden, künstliche Beatmung, Gastroskopie oder extrakorporale Organersatzverfahren eingehen.
  • Minimal notwendige Lebensqualität
    Eine PV kann nicht alle Situationen abdecken. Deshalb empfiehlt es sich, eine minimale Lebensqualität festzulegen und Entscheidungen vorwegzunehmen, wenn diese nicht mehr gegeben ist.

Die PV regelt medizinische, lebensverlängernde Maßnahmen wie künstliche Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit, Verabreichung von Antibiotika, künstliche Beatmung , die Durchführung von Dialyse und Bluttransfusionen, generell die Fortsetzung von Therapien bzw. chirurgischen Eingriffen, auch wenn eine Heilung und eine Besserung des Zustands ausgeschlossen und eine menschenwürdige, minimale Lebensqualität nicht mehr gegeben ist. Die zu treffende Grundentscheidung ist, alle Möglichkeiten auch in einer ausweglosen Situation auszunutzen oder aber dem Sterben seinen natürlichen Lauf zu lassen.

Eine PV kann auch nicht-medizinische Willensbekundungen, die aber an den Gesundheitszustand gebunden sind, enthalten:

  • Festlegung des Behandlungsortes je nach Erkrankung (zuhause sterben)
  • Zustimmung oder Ablehnung einer Organspende,
  • Entscheidungen über Art und Durchführung der Bestattung
  • Ob und welcher geistliche Beistand gewünscht ist.

2. Wann ist der richtige Zeitpunkt, eine Patientenverfügung zu verfassern?

Ab dem 18. Geburtstag eigentlich jeder Tag.
Niemand setzt sich gerne mit dem eigenen Sterben auseinander, junge Menschen noch weniger als ältere. Aber eine PV ist nicht wie vielfach angenommen eine Angelegenheit für Menschen fortgeschrittenen Alters. Ein Unfall, ein Aneurysma, eine plötzliche Erkrankung können auch einen jungen Menschen von heute auf morgen in einen Komazustand versetzen oder der Fähigkeit, selbständige Entscheidungen zu treffen bzw. diese zu äußern, berauben.
Wichtig: Die PV muss auf die aktuelle Lebenssituation und den aktuellen Gesundheitsstatus des Erklärenden anwendbar sein. Deshalb sollten Sie in regelmäßigen Abständen und vor allem bei einer wichtigen Veränderung des Gesundheitszustandes aktualisiert werden.
Eine PV kann so oft abgeändert bzw. widerrufen werden wie man möchte. Im Laufe eines Lebens ändert sich nicht nur der Gesundheitszustand, sondern auch Lebensumstände und Überzeugungen, schreiten Wissenschaft und Forschung voran. Dem muss eine PV selbstverständlich Rechnung tragen und entsprechend angepasst werden. Wichtig ist, die jeweils aktuelle Variante registrieren zu lassen.

3. Wann greift die Patientenverfügung?

Worüber sich viele nicht im Klaren sind: Die PV greift nur in dem Augenblick, in dem der Betroffene durch Krankheit oder Unfall nicht mehr selbst in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen und seinen Willen kundzutun. Im Prinzip ist sie nichts anderes als eine vorweggenommene aufgeklärte Einwilligung wie sie im Krankenhaus vor Beginn einer jeden Therapie oder Operation unterschrieben werden muss; auch dies ein Grundrecht: Jeder Patient hat das Recht, über seine Diagnose und Prognose sowie über die zu ergreifenden therapeutischen Maßnahmen informiert zu werden, um mithilfe des Arztes das weitere Vorgehen zu entscheiden. Sie ist in dieser Hinsicht nicht nur eine Entscheidung für einen selbst, sondern auch eine Hilfe für die Angehörigen. Entscheidungen über eine Fortsetzung oder die Beendigung von Therapien bzw. lebensverlängernden Maßnahmen für Patienten zu treffen, die selbst nicht mehr in der Lage sind zu entscheiden, ist für die Familie, den Partner in einer ohnehin von Schmerz geprägten Situation, oft eine fast nicht zumutbare Anforderung.

4. Wird mein Wille respektiert?

Mit Inkrafttreten des Gesetzes 209 am 31. Januar 2018 haben Patientenverfügungen im Unterschied zu vorher Rechtskraft. Das heißt, die Ärzte sind angehalten, sich an diese Dispositionen zu halten, es sei denn, seit der Unterzeichnung der Verfügung sind Forschungsergebnisse erzielt worden, die dem Patienten eine relative Lebensqualität gewährleisten. Eine Patientenverfügung sollte von einer oder zwei Personen des Vertrauens mitunterzeichnet werden, die für die Durchführung der Willenserklärung garantieren. Ein Arzt, der aus religiösen oder ethischen Überzeugungen die Patientenverfügung nicht anerkennen will, muss sich durch einen Kollegen ablösen lassen.

5. Patientenverfügung wie und wo?

Wer sich entscheidet, eine PV anzulegen, hat verschiedene Möglichkeiten:

  • Man kann sich an den Hausarzt (bzw. im Fall einer chronischen Erkrankung an den behandelnden Arzt, an das Personal eines Altersheimes) wenden
  • Eine PV kann mithilfe eines Notars aufgesetzt werden, der sie beglaubigt und registriert (das ist mit Kosten verbunden).

Es gibt Vordrucke, die bereits alle wichtigen Punkte einer PV erhalten und auch individuell angepasst werden können. Download  auf der Seite des italienischen Gesundheitsministeriumswww.salute.gov.it, der jeweiligen Wohnortgemeinde oder regionalen Gesundheitsbehörde, den Ethikkomitees von Provinzen und Regionen bzw. auch auf den Websites verschiedener regionaler und nationaler Vereinigungen wie z.B. www.fondazioneveronesi.it, www.associazionelucacoscioni.it, Krebshilfe, LILT u.a.m.).

Sie kann aber auch ganz individuell verfasst werden. Um Rechtsgültigkeit zu erlangen, muss sie als Privaturkunde beglaubigt sein.

Es empfiehlt sich in jedem Fall, eine PV mithilfe einer fachlich kompetenten Person anzulegen, je detaillierter sie ist, desto besser. Wer sich für eine vorgedruckte PV entscheidet, ist angehalten für drei Situationen im Voraus zu entscheiden: eine unheilbare schwere Krankheit im Endstadium, ein irreversibles Koma oder eine fortgeschrittene Demenzerkrankung.

Die PV muss nicht handgeschrieben sein, aber händisch unterschreiben sein.

Wer nicht in der Lage ist, eine Unterschrift durchzuführen, kann die PV per Video- oder Tonaufnahme im Beisein von Zeugen abgeben.

Der Erklärende muss klar identifiziert sein mit vollem Namen, Unterschrift und Adresse

Die PV kann hinterlegt werden: beim Notar, beim Anwalt, im Standesamt der Wohngemeinde, als beglaubigte Privaturkunde zuhause, beim Hausarzt, bei chronischen Patienten im Krankenhaus (Onkologie, Palliativabteilung) bzw. im Pflege- oder Altersheim.

Der Hausarzt, Anwalt, Notar oder das Standesamt bestätigen die Zurechnungsfähigkeit des Erklärenden. Ohne eine solche Beglaubigung hat die PV keine Rechtsgültigkeit als Privaturkunde. Es wird empfohlen die PV von einer oder zwei Personen des Vertrauens als Garanten mitunterzeichnen zu lassen. Auch wer seine PV bei der Wohngemeinde, Arzt oder Notar hinterlegt, sollte eine Kopie an einem gut zugänglichen Ort zuhause zu hinterlegen; auch der/ die Unterzeichner sollten eine Kopie erhalten. Im Notfall, wenn es darum geht, wichtige Therapie-Entscheidungen zu treffen, müssen diese Bestimmungen sofort zur Hand sein.

Seit 31. Januar 2020 gibt es auch ein Nationales Register für die PV. Die beglaubigten Kopien aller vor diesem Datum angefertigten und bei der Wohngemeinde oder einem Notar hinterlegten PV müssen bis spätesten 31. Juli digital an das Register weitergeleitet werden. Wer seine PV nicht öffentlich registriert hat, kann nachträglich um Registrierung ansuchen. Der Vorteil einer Registrierung: Nicht immer ist Zeit, um den Konsens der Angehörigen einzuholen. Die im nationalen Register aufgenommen Patientenverfügungen stehen online Ärzten und Krankenhäusern zur Verfügung. Es ist zudem vorgesehen, dass die Betroffenen selbst und auch die Vertrauensperson einen geschützten Zugang erhalten werden, um diese jederzeit einsehen zu können. Abgeändert werden können sie nicht online. Es ist vorgesehen, die PV auch in die elektronische Krankenakte aufzunehmen. Damit wäre sie automatisch auch auf der Sanitätskarte gespeichert und abrufbar. Wer eine nationale Erfassung seiner Patientenverfügung nicht wünscht, muss dies bei der Registrierung explizit angeben.

Es gibt kein internationales Register für PV, deshalb empfiehlt es sich, bei längeren Auslandsaufenthalten eine Kopie mit sich zu führen, bzw. Angehörige und/ oder die Mitunterzeichner von der Reise zu informieren um sicherzugehen, dass im Notfall eine Kopie der PV zur Verfügung steht.

In Italien haben bis Februar 2020 nur ca. 0,7 Prozent der Bevölkerung eine PV verfasst und registrieren lassen, mehrheitlich Frauen. In Deutschland ist die PV seit 1. September 2009 gesetzlich geregelt. Anfang 2018 haben fast 45 % der Bevölkerung angegeben, eine PV erstellt zu haben. Bei einer Einlieferung ins Krankenhaus wird in Deutschland jeder Patient automatisch nach seiner PV gefragt.