
Unterwegs in der Emilia-Romagna
Wer zu einer evangelisch-lutherischen Gemeinde in Italien gehört, weiss, was es bedeutet, in einer Diaspora-Situation zu sein, und das Thema Mobilität betrifft ihn ganz besonders, vor allem in Gemeinden, die sich über ein grosses Gebiet erstrecken.
Reise und Diaspora
Das ist u. a. der Fall in der Gemeinde Florenz-Toskana-Emilia-Romagna-Marken: ganz im Westen Pisa, im Osten Borgo San Lorenzo,
nördlich davon die Kette des Apennin als zu überwindende Barriere und dann von Parma und Ferrara bis Cesenatico an der Adriaküste – wahrhaftig grosse Entfernungen. Wie schaffen wir es da, als Gemeinde zu leben? Natürlich benützen wir Internet, vor allem für Videokonferenzen der Arbeitsgruppen wie den Kirchengemeinderat, den Diakonieausschuss usw., auch für thematische Begegnungen, aber der persönliche Kontakt ist unserer Erfahrung nach dadurch nicht zu ersetzen. Kirche und Gemeindehaus in Florenz sind der Mittelpunkt, den wir alle gerne aufsuchen, aber die Mehrzahl der Gemeindeglieder kann sich nur ausnahmsweise oder zu besonderen Anlässen und Festen dort einfinden – und natürlich zur Gemeindeversammlung, wo gemeinsam wichtige Enscheidungen getroffen werden.
Die Gemeindegruppe Emilia-Romagna besteht seit mehreren Jahrzehnten und wurde von einigen Familien gegründet, die sich zusammen mit dem Pfarrer monatlich in ihren Häusern trafen, um ihren Glauben zu vertiefen. Diese Hauskreise fanden meist am Samstagnachmittag statt; so war genug Zeit für geistliche Besinnung, Bibelarbeit, Gedankenaustausch, aber auch für eine Agape mit hausgemachten Kuchen und anderen Spezialitäten! Nach einiger Zeit ergab sich die Möglichkeit, auch in der Methodistenkirche in Bologna zu Gast zu sein, einem besonders schönen Ambiente für die Gottesdienste an den Festen des Kirchenjahres, wobei das Reformationsfest zusammen mit der Methodistengemeinde begangen wurde und wird. Ja, diese Form des Gemeindelebens besteht heute noch. Sie kommt insofern allen zugute, als mit dem Wechsel des Treffpunktes die Entfernungen für den Einzelnen nicht immer dieselben sind (ausser für unsere Pfarrerin freilich, die in Florenz wohnt), wobei Bologna als Verkehrsknotenpunkt vorteilhaft für alle ist. Und in dieser dicht besiedelten Region gibt es sicher auch keine Probleme mit der Mobilität, werden jetzt alle denken. Von wegen! Solange man sich an der Achse entlang der Via Emilia bewegt, gut und schön, da kann man mit der Eisenbahn und auf der Autobahn fahren. Sobald es aber um Orte in den Apennintälern oder sonst abseits dieser Hauptstrecke geht, wird die Sache schwieriger. Wer nicht den Pkw benützen kann oder will, ist auf Busse und Nahverkehrszüge angewiesen, die teilweise selten fahren oder keine zeitlich passenden Verbindungen bieten. Ein Beispiel: Letzthin haben wir uns an einem Sonntagnachmittag in Sasso Marconi getroffen: C., die in Cesenatico wohnt, musste um 11Uhr aus dem Haus, um rechtzeitig dort anzukommen. Abends fährt der letzte Bus vom Bahnhof in Cesena nach Cesenatico um 19.30 Uhr ab, und den kann sie nur erreichen, wenn wir uns in Bologna treffen. Ansonsten muss sie mit der Bahn über Ravenna heimfahren, ein Umweg, der mehr Zeit erfordert. Im übrigen sind fast alle für Hin-und Rückweg mehr als zwei Stunden unterwegs. Selbstverständlich versuchen wir, vorwiegend öffentliche Verkehrsmittel zu benützen und falls es nur mit dem Pkw geht, Gruppen zu bilden. Und hier finden wir auch das Schöne an unserer Situation: wir sind lange zusammen und können während der Fahrt über vieles reden, was uns bewegt.
Gabriele Wöller