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Sterbebegleitung
(Aus der Einleitung) Selbstbestimmung, gelebtes und erfülltes Leben ist ein Wesensmerkmal der Moderne geworden. Aber Leiden gehört zum Leben und spätestens im Gewahrwerden des Alterns, Erkrankens, Ablebens, des eigenen oder Anderer, wird jeder Mensch damit konfrontiert: früher oder später, mehr oder weniger. Meistens wird dieses Leiden als Raub oder Fehlen von Freiheit erlebt, als etwas, was mir geschieht und was mich überwältigt. Das bedeutet ein Ende all dessen, was in einer weltlichen Gesellschaft hochgepriesen und gesetzlich als unveräußerliche, möglichst gar einklagbare Rechte geschützt ist.
Es gehört in besonderer Weise zum Geist unserer Zeit zu sagen: Nach so viel selbstbestimmtem Leben möchte ich auch im Leiden und Sterben ein Wörtchen mitreden. Es ist ein Novum in der Menschheitsgeschichte, dass Menschen den Prozess des Sterbens mitgestalten können.
Die Forderung nach Selbstbestimmung entlarvt sich als problematisch, denn in den letzten Momenten unseres Lebens scheitern alle Beeinflussungs- und Kontrollbemühungen, der Mensch bleibt im Sterben sich selbst überlassen.
In Menschen, die sich mit einem Leben nach dem Tod beschäftigen und eine Gottesvorstellung haben, können dann der Glaube und die Hoffnung auf ein jenseitiges liebendes Du wichtig werden. Nicht jeder Mensch, auch nicht jeder gläubige Mensch ist hiervon wirklich tief durchdrungen und überzeugt, sondern in vielen kommen in diesem Aufsichgestelltsein Fragen und Gedanken auf, für die es keine vorgefertigte und eindeutige Antworten gibt, auch weil sie sich vielleicht erstmals im Leben unabweisbar stellen:
- Wenn ich sterbe, sterbe ich oder erliege ich hilflos dem Sterben?
- Rafft mich der Tod dahin oder gehe ich in den Tod hinein?
- Vor dem Tod habe ich keine Angst, aber vor dem Sterben schon. Vor dem Sterben ist mir schon bang, aber vor dem, was dann kommt, noch mehr.
- Manche wollen den Tod, aber sie wollen nicht sterben.
- Andere wollen endlich sterben, damit sie nicht mehr leben müssen; aber eigentlich wünschen sie sich nicht den Tod, sondern ein anderes Leben.
In Wirklichkeit wissen wir wenig über das Sterben und nichts über den Tod. Nichts ist rätselhafter und ungewisser, zugleich aber eigener und persönlicher als das Sterben, als mein Sterben. Und wenn es sich konkretisiert und persönlich wird, überwältigt es die Menschen leicht: Das Gehen, Weniger werden, Aufhören, die Ratlosigkeit und Verwirrung, Angst und Schmerzen, werden allgegenwärtig und drohen, alles Andere, auch die Vergangenheit und die Zukunft zu überdecken und auszulöschen.
Hinzu kommt: Wer gegangen ist, kommt nicht zurück, um uns zu berichten, aufzuklären, zu trösten. Angehörige und Zeugen bleiben zurück, sie bleiben allein im Abschied, im Verlust. Sie werden konfrontiert mit der unausweichlichen Erkenntnis, dass wir, wie Luther formulierte, “mitten im Leben vom Tode umfangen” sind. Und doch sind Sterbe- und Todesmomente für die Weiterlebenden oft auch Wendepunkte, an denen Neues beginnt; sie werden zu Quellen von Kraft, Bestärkung und Sinn, die früher oder später zu fließen beginnen. Sterben ist ein mitmenschliches Sein und Teil des Lebens, wird geteilt und mitgeteilt und erhebt sich über den Moment hinaus: Im Gehen des einen Menschen entsteht in den Bleibenden etwas Besonderes, das nicht geht; das hat oft höchste Qualität.
Man darf auch denken: Wie ich selber sterbe, geschieht aus der Erfahrung des Sterbens Anderer, dessen Zeuge ich sein durfte. Und doch wird es dann mein ureigenes, anderes und einzigartiges Sterben sein. Sterben gewinnt eine zutiefst individuelle und aktive Qualität: Ich sterbe. Es passiert nicht nur, ich TUE es auch. Deshalb können wir davon sprechen und Wünsche formulieren, solange wir dazu in der Lage sind.
Angesichts solcher Ungewissheit, Ängste und Herausforderungen wollen die einen Klarheit, Regeln, Handreichungen, andere wollen am liebsten nichts davon wissen und auch gar nicht daran denken, und auch nicht darauf angesprochen werden. In dieses weite Feld hinein soll unsere Handreichung zur Patientenverfügung Orientierung geben in theologischer, ethischer, medizinischer und rechtlicher Hinsicht.
Aus dem Text:
Rechliche Aspekte
1. Was enthalten die Patientenverfügungen?
In einer Patientenverfügung geht es im Wesentlichen um zwei Entscheidungen:
- Ich möchte, dass alle medizinischen Möglichkeiten bis zum Ende ausgeschöpft werden, um mein Leben in jedem Fall zu verlängern – auch wenn eine Heilung ausgeschlossen ist und keine (mehr) angemessene Lebensqualität gewährleistet werden kann.
Oder
- In einer Situation, in der eine Heilung ausgeschlossen ist, möchte ich lebensverlängernde Maßnahmen ablehnen, die letztlich nur das Leiden verlängern, da sie keine Lebensqualität mehr garantieren.
In einer Patientenverfügung wird keine Entscheidung über mögliche palliative Behandlungen getroffen. Palliativmedizin ist ein grundlegendes Menschenrecht und wird in jedem Fall angewendet.
Das Gesetz 219, Art. 4 basiert auf tief verwurzelten rechtlichen Grundsätzen:
- Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: Das Recht auf Würde
- Artikel 32 der italienischen Verfassung: „Niemand darf zu einer bestimmten medizinischen Behandlung gezwungen werden, es sei denn, das Gesetz schreibt es vor. Das Gesetz darf in keinem Fall die durch die Achtung der menschlichen Person gesetzten Grenzen verletzen.“
- Artikel 2 des italienischen Gesetzes Nr. 38 vom 15. März 2010, das jedem Bürger das Recht auf palliative Versorgung im Rahmen der „essentiellen Versorgungsleistungen“ garantiert.
- Artikel 35 des ärztlichen Ethikkodex: „… Der Arzt muss in Wissenschaft und Gewissen im Interesse des nicht entscheidungsfähigen Patienten handeln, unter Wahrung der Würde der Person und der Lebensqualität, ohne unverhältnismäßige therapeutische Maßnahmen zu ergreifen und unter Berücksichtigung des früher geäußerten Willens des Patienten. (…) Wenn der Patient seinen Willen nicht äußern kann, muss sich der Arzt an nachweisbare frühere Erklärungen des Patienten halten.“
Je konkreter eine Patientenverfügung ist, desto besser. Daher sollte sie mit Hilfe einer fachkundigen Person erstellt werden. Sie sollte folgende Informationen enthalten:
- Aktueller Gesundheitszustand und Lebenssituation
- Wiederbelebung
- Wünschen Sie eine Wiederbelebung?
- Unter welchen Umständen lehnen Sie eine Wiederbelebung ab?
- Wann sollte ein Wiederbelebungsversuch abgebrochen werden?
- Intensivtherapie
- Stimmen Sie allen intensivmedizinischen Behandlungen und notwendigen Operationen zu?
- Setzen Sie Grenzen für bestimmte Behandlungen?
- Wann bevorzugen Sie den Abbruch der Intensivtherapie zugunsten einer palliativen Behandlung?
- Palliativmedizin
- Was ist Ihre Haltung zur Palliativmedizin?
- In welchen Fällen lehnen Sie lebensverlängernde Maßnahmen wie künstliche Beatmung, künstliche Ernährung, Dialyse, Wiederbelebung oder Organtransplantationen ab und bevorzugen eine palliative Versorgung?
- Diagnostische und therapeutische Verfahren
- Gibt es diagnostische oder therapeutische Maßnahmen, die Sie grundsätzlich ablehnen?
- Sie können hier z. B. PEG-Sonden, künstliche Beatmung, Magenspiegelung oder extrakorporale Organersatzverfahren angeben.
- Mindestlebensqualität
- Patientenverfügungen können nicht alle Situationen abdecken. Es wird daher empfohlen, eine Mindestlebensqualität zu definieren und im Voraus festzulegen, unter welchen Bedingungen diese nicht mehr gegeben ist.
Patientenverfügungen regeln lebensverlängernde Behandlungen wie künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Antibiotikagabe, künstliche Beatmung, Dialyse und Bluttransfusionen sowie allgemein die Fortsetzung von Therapien oder chirurgischen Eingriffen, auch wenn eine Heilung oder Verbesserung ausgeschlossen ist und eine menschenwürdige Lebensqualität nicht mehr möglich ist.
Die grundlegende Entscheidung ist: Soll jede Möglichkeit ausgeschöpft werden, auch in einer aussichtslosen Situation, oder soll dem natürlichen Verlauf des Sterbens Raum gelassen werden?
Patientenverfügungen können auch nicht-medizinische Wünsche enthalten, die jedoch mit dem Gesundheitszustand zusammenhängen, wie zum Beispiel:
- Der gewünschte Ort der Pflege (z. B. zu Hause sterben)
- Zustimmung oder Ablehnung einer Organspende
- Entscheidungen über Art und Durchführung der Bestattung
- Ob und welche spirituelle Begleitung gewünscht wird
2. Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Patientenverfügung?
Grundsätzlich kann eine Patientenverfügung ab dem 18. Lebensjahr erstellt werden.
Niemand setzt sich gerne mit dem eigenen Tod auseinander – junge Menschen noch weniger als ältere. Dennoch sind Patientenverfügungen keine Angelegenheit, die nur ältere Menschen betrifft.
Ein Unfall, ein Aneurysma oder eine plötzliche Erkrankung können einen jungen Menschen unerwartet in ein Koma versetzen oder ihn daran hindern, selbst Entscheidungen zu treffen und zu äußern.
Eine Patientenverfügung sollte immer an die aktuelle Lebenssituation und den Gesundheitszustand angepasst sein. Sie sollte regelmäßig aktualisiert werden, insbesondere wenn sich der Gesundheitszustand erheblich verändert.
Patientenverfügungen können jederzeit geändert oder widerrufen werden.
Nicht nur der Gesundheitszustand, sondern auch die Lebensumstände, Überzeugungen sowie medizinische und wissenschaftliche Erkenntnisse ändern sich im Laufe der Zeit. Deshalb sollten Patientenverfügungen immer entsprechend angepasst werden. Es ist wichtig, jede aktualisierte Version offiziell registrieren zu lassen.
3. Wann kommt eine Patientenverfügung zur Anwendung?
Viele wissen nicht, dass eine Patientenverfügung erst dann wirksam wird, wenn die betroffene Person aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls nicht mehr in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen und ihren Willen selbst zu äußern.
Grundsätzlich ist eine Patientenverfügung nichts anderes als eine vorweggenommene Einwilligung, ähnlich der informierten Zustimmung, die vor einer medizinischen Behandlung oder Operation im Krankenhaus unterzeichnet werden muss.
Dies ist nicht nur eine Entscheidung für sich selbst, sondern auch eine Erleichterung für Angehörige.
Über den Fortbestand oder Abbruch von Behandlungen zu entscheiden, die das Leben eines nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten verlängern, ist für Angehörige in einer ohnehin belastenden Situation oft eine fast unzumutbare Verantwortung.
4. Wird mein Wille respektiert?
Mit dem Gesetz 219, das am 31. Januar 2018 in Kraft trat, haben Patientenverfügungen rechtsverbindlichen Charakter. Das bedeutet, dass Ärzte diese verpflichtend befolgen müssen, es sei denn, es gibt unvorhersehbare, neue medizinische Möglichkeiten, die eine reale Verbesserung der Lebensqualität bieten könnten.
Patientenverfügungen sollten von einer oder zwei Vertrauenspersonen mitunterzeichnet werden, die sicherstellen, dass die Erklärung umgesetzt wird.
Ein Arzt, der aus ethischen oder religiösen Gründen eine Patientenverfügung nicht anerkennen möchte, ist verpflichtet, sich von einem Kollegen vertreten zu lassen