Liebe Leserin, lieber Leser!
Derzeit bekomme ich die Renovierung eines Badezimmers mit. Der hauptverantwortliche Handwerker ist ein ehrlicher und fleißiger Mann. Er arbeitet weit über das normale Maß hinaus. Selbst an seinem Geburtstag geht er spät abends noch zu den Kunden. Für seine verlässliche Art und seinen Einsatz wird er von den Kunden sehr geschätzt. Ihn selbst treibt wohl am meisten der Wunsch an, seiner Frau ein gutes Leben zu ermöglichen. Zu ihrem Geburtstag hat er ihr ein neues Auto geschenkt. Allerdings fordert sein Arbeitspensum auch seinen Tribut. Er arbeitet über das Maß seiner Kräfte hinaus. Kürzlich konnte er des nachts nicht schlafen, weil ihn Magenschmerzen plagten. Den ganzen Tag über aß er nichts, um seinen Magen zu schonen. Dabei ist er erst Mitte 30. Er sehnt seinen Urlaub herbei, in dem er endlich für eine bestimmte Zeit frei von seinen Pflichten sein wird.
Von außen betrachtet kann man diesen fleißigen Mann vielleicht bewundern für das, was er leistet, und sich für ihn freuen, dass er sich in einem durchaus auch korrupten Umfeld seine Ehrlichkeit bewahrt. Andererseits scheint sein Leben nicht in Balance zu sein, weil er mehr tut, als es für ihn gesund ist. Wie lange wird er diesen Lebensstil noch durchhalten können? Sein Lebensstil ist abhängig vom Bestand seiner Kraft und Gesundheit. Wird er sich seine Gesundheit ruinieren, wenn er so intensiv weiterarbeitet? Schadet er langfristig nicht nur sich selbst, sondern auch dem Verhältnis zu seinen Kunden und zu seiner Frau? Vielleicht wollen sie ihn lieber dauerhaft gesund sehen, als dass er für sie für eine überschaubare Zeit von ein paar Jahren noch das Letzte aus sich herauspresst? Von außen möchte man ihm zurufen: Mach langsamer, lieber Mann, schone dich, dann hast du dauerhaft mehr davon!
Von außen betrachtet ist es leicht, solche Worte in das Leben eines anderen Menschen hineinzurufen. Drehen wir die Perspektive um und betrachten wir unser eigenes Leben, wissen wir wahrscheinlich von uns selbst, wie schwierig es ist, die Balance im eigenen Leben zu bewahren. Sehr viele unterschiedliche Erwartungen, Wünsche und Vorstellungen zerren an uns. Teils sind es unsere eigenen, teils sind es die anderer, die an uns herangetragen werden. Ihnen auf eine gesunde Weise gerecht zu werden, ist wahrlich nicht leicht.
Der Glaube kann uns eine große Hilfe sein, unser Leben in Balance zu halten. Gott als unser Schöpfer hat kein Interesse daran, dass wir als seine Geschöpfe in Schieflage leben und unser Leben zerstören, sondern Gottes Wille ist darauf aus, dass unser Leben gelingt. Solch gelingendes Leben in Balance nennt die Bibel Leben in Gerechtigkeit. Unser Leben ist dann in Balance, wenn wir den Beziehungen, in denen wir leben, gerecht werden: der Beziehung zu Gott, zu unseren Mitmenschen und zu uns selbst.
In Bezug auf das Leben unseres Handwerkers, von dem ich oben schrieb, könnte das heißen: Dem Verhältnis zu seinen Kunden wird er durch Fleiß und Verlässlichkeit gerecht, auch dem Verhältnis zu seiner Frau, für die er sich regelrecht fast aufopfert. Ja, er wird ihnen mehr als gerecht, denn sein Einsatz für sie geht auf Kosten seiner Gesundheit, er wird sich selbst und seiner Gesundheit nicht gerecht. Es müsste eine Korrektur, ein Ausgleich zugunsten seiner Gesundheit stattfinden. Was kann ihn zu diesem Ausgleich führen? Könnte es das Verhältnis zu Gott sein? Zu Gott, der sagt: Dein Leben und deine Gesundheit sind mein Geschenk an dich, sie haben einen unabhängigen Wert an sich. Sie sind unabdingbarer Teil gelingenden Lebens. Du selbst, deine Frau und deine Kunden werden langfristig mehr vom Leben mit dir haben, wenn du deine Gesundheit schonst. Ich, dein Gott, ermutige dich, in der Arbeit kürzer zu treten um deiner Gesundheit, um deiner Frau und deiner Kunden willen.
Wahrscheinlich gibt es kein einziges menschliches Leben, das nicht an irgendeiner Stelle in Schieflage ist. Ist es auch Deines, liebe Leserin, lieber Leser? Wenn ja, an welcher Stelle wirst Du einem der drei Verhältnisse nicht gerecht: dem zu Gott, zu deinen Mitmenschen, zu Dir selbst? Gott tritt an unsere Seite und ermutigt uns, dass wir korrigieren und Balance herstellen, wo sie uns verloren gegangen ist. Gott hat uns dazu geschaffen, dass wir in Balance leben.
Pfarrer Tobias Brendel, Turin
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