Rom, 4. Oktober 2023 – Im Kaiserreich unter der Regierung von Franz Joseph I. von Österreich und in einem geteilten Europa, in dem nie wirklich Frieden herrschte, sind die Ereignisse der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Augsburgischen Bekenntnisses in Bozen eine einzigartige Fülle von Informationen, Leben und Geschichte.
Der Wirkungsbereich umfasste ein Gebiet, das sich von Bozen bis Borgo in Valsugana, Brixen, Bruneck, Lienz, Cortina, Cavalese, Mezzolombardo, Primiero und Trient erstreckte. Ein sehr großes Gebiet, das an der damaligen Südgrenze Österreichs lag.
1902 wurde der Bau der Christuskirche beantragt. Allerdings dachte der Tiroler Landtag anders und hatte ein widersprechendes Landesgesetz. Aber erst als Kaiser Franz Josef 1905 Bozen besuchte und die protestantische Delegation bei ihm vorstellig wurde, soll er gefragt haben: ‚Haben Sie denn hier schon eine evangelische Kirche?‘. Das war der Grundstein für die Christuskirche.
Ein Blick zurück
In der Geschichte Tirols war es für Protestanten gar nicht so einfach gewesen, ihren Glauben leben zu können. So mussten beispielsweise noch im Jahre 1837 436 Protestanten das Zillertal ihres Glaubens wegen verlassen.
Erst das von Kaiser Franz Joseph am 8. April 1861 erlassene Protestantenpatent ermöglichte die öffentliche Ausübung des evangelischen Glaubens auch in Tirol. Es beinhaltete eine relative Gleichstellung des Augsburger Bekenntnisses (der Lutheraner) und des Helvetischen Bekenntnisses mit den Katholiken. Daraufhin entstanden die Gemeinden Meran (1861), Bozen (1898) und Arco (1899).
Erbauung der Kirche
In Bozen bzw. im benachbarten Kurort Gries wurde für den Bau 1903 ein Villengrundstück erworben. Die Grieser Weinbauern und das Land Tirol, das ein dem Protestantenpatent widersprechendes Landesgesetz hatte, lehnten das Projekt jedoch ab und die Gemeinde Gries verweigerte die Baugenehmigung. Erst mit Hilfe eines Rechtsanwaltes, des damaligen Bozner Bürgermeisters Julius Perathoner, konnte der Kirchenbauverein vor dem Verwaltungsgerichtshof sein Recht durchsetzen. Inzwischen waren zwei Jahre vergangen.
1905 besuchte Kaiser Franz Joseph Bozen, der bei der Begrüßung die evangelische Deputation fragte, “Haben Sie denn hier schon eine evangelische Kirche?” Worauf man antwortete, dass man hoffe, trotz der Schwierigkeiten bald den Grundstein legen zu können. Antwort von Kaiser “Das freut mich zu hören.”, – der Baukonsens wurde daraufhin noch 1905 erteilt.
Zwischen 1906 und 1908 wurde also auch in Bozen eine evangelische Kirche errichtet. Die Christuskirche wurde unter der Leitung des Architekten Hermann Ende im neugotischen Stil erbaut.
Zerstörung und Wiederaufbau
Am 4. Januar 1945 wurde die Kirche von amerikanischen Flugzeugen bombardiert und brannte fast bis auf die Grundmauern nieder. Nur der Turm und die Außenmauern konnten gerettet werden. Nach dem Krieg wurde der äußere Bau wieder aufgebaut und am 20. Oktober 1952 wieder eingeweiht.
Heute
Die evangelische Gemeinde Bozen hat über 500 Mitglieder und erstreckt sich über ein Gebiet, das vom Brenner bis zum Gardasee reicht. Der Pfarrbezirk der Gemeinde Bozen umfasst also die Provinzen Bozen und Trient, die östlich der Linie Brenner-Gargazon-Mendola-Passo-Mezzolombardo-Torbole liegen.
Am kommenden 15. Oktober feiert die Gemeinde ihr 125-jähriges Bestehen. Eine lebendige, dynamische Gemeinschaft, die mit ihren Traditionen und ihrer Geschichte verbunden ist.
Eine Gemeinde, die 1948 aktiv zur Gründung der heutigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien beigetragen hat und sich damit nicht nur in der typisch deutschen lutherischen Identität wiederfindet, sondern sich auch eine Zeugenperspektive auf dem damals entstehenden italienischen Territorium gegeben hat.
Derzeit ist Bozen sicherlich eine der ELKI-Gemeinden, die in einem Grenzgebiet lebt und wirkt – jene Grenzen, die oft fälschlicherweise als einfach angesehen werden, die aber ganz besondere Aspekte – z.B. von neuen Migrationen – aufweisen und daher ein ganz besonderes Wirken erfordern. Ein Engagement diesbezüglich, das von den Mitgliedern der Kirche beharrlich umgesetzt wird und das von Institutionen oft als repräsentativ für einen – protestantischen – Ansatz gegenüber Kultur, Gesellschaft und den Krisen der Gegenwart anerkannt wird.
Heute engagiert sich die Gemeinde unter der Leitung von Annette Herrmann-Winter neben den normalen kirchlichen Aktivitäten auch in verschiedenen sozialen und kulturellen Bereichen.
Am 16. September wurde Caroline von Hohenbühel, Kuratorin der Gemeinde und ELKI-Synodale, als eine von zehn Persönlichkeiten mit dem Verdienstkreuz für ihr soziales Engagement für Geflüchtete und Obdachlose in verschiedenen Bozner Heimen ausgezeichnet. Außerdem engagiert sie sich für das Dorea-Projekt für obdachlose Frauen und die Evangelisch-Lutherische Kirche. Das Tiroler Verdienstkreuz wird für vorbildliche öffentliche und private Leistungen in Tirol und Südtirol verliehen. Es ist nach dem Ring und dem Ehrenzeichen die dritthöchste Auszeichnung, die das Land Tirol vergibt. Die Auszeichnung besteht aus einem silbernen lateinischen Kreuz, auf dem in kleiner Form das Motiv des Ehrenzeichens liegt. Das Gesetz legt unter anderem fest, dass nicht mehr als 500 Personen Träger oder Trägerinnen des Verdienstkreuzes sein dürfen.