Waren Sie auch so sportlich in diesem Sommer? Also i ich habe wenig ausgelassen: Europameisterschaft, Olympiade, Radrennen, Tennis und als wirklich krönenden Abschluss die Paralympics. Ich habe, wenn es ging, immer wieder reingeschaut, oft gestaunt, mitgefiebert, manchmal mitgelitten, mich oft mitgefreut.
Was mich immer wieder vor den Bildschirm gezogen hat, waren tatsächlich gar nicht so sehr die in Zahlen messbaren Leistungen, obwohl ich vor denen einen riesigen Respekt habe (vielleicht weil ich vor gefühlten Jahrhunderten selbst mal hart trainiert habe für jeden einzelnen Zentimeter „mehr“ und „höher“). Nein, was mich am meisten und immer wieder neu fasziniert hat, waren die Emotionen, die da in so unmittelbarer, unverfälschter Weise sichtbar und mitfühlbar wurden. Diese Augenklicke, in denen klar wurde: Das ist jetzt der Moment, auf den diese Person so viele Jahre hingearbeitet, nein mehr: alles gegeben und so vieles geopfert hat. Und dann eine Sekunde: Hop oder Top. Tränen der Freude oder des Schmerzes. Aber nicht nur: Auch, oder vielleicht sogar vor allem: Tränen der der Befreiung von einer unglaublichen Anspannung, von einem unfassbaren Druck. Einer Erlösung, in der sich oft Siegende und Verlierende in besonders bewegender Weise begegnet, oft in die Arme gefallen sind.
Mir ist dabei immer wieder eine kleine Szene in Erinnerung gekommen, die sich bei einem Spaziergang durch einen Park ereignet hatte: Von einem kleinen Hügel herunter rannten ein paar Jungs, vielleicht vier oder fünf Jahre alt, auf einen großen Holzklotz zu, der vielleicht ein Kunstwerk war. Schließlich kam ein Junge dort an, klopfte auf das Holz und rief laut: „Erster!“ Und kurz danach kam der nächste an, klopfte ebenfalls auf das Holz, rief genauso laut, „auch Erster!“, und grinste den anderen fröhlich an. Der reagierte für den Bruchteil einer Sekunde irritiert, schien kurz davor, Einspruch zu erheben. Aber nur so lange, bis der nächste ankam, auf den Klotz schlug und ebenfalls laut rief „auch Erster!“. Da fingen sie nämlich an zu lachen. Und bei jedem, der danach kam, riefen sie immer alle zusammen: „Auch Erster!“, und das Lachen wurde jedes Mal lauter, befreiter, herzlicher. Und ich stand da mit offenem Mund und dachte: Meine Güte, die haben was verstanden, hoffentlich verlernen sie es nie mehr.
Oder wie heißt das nochmal: Die Ersten werden die Letzten sein? Oder die Letzten die Ersten? Oder irgendwie doch ganz anders? Wie auch immer: Ich freue mich auf diesen Moment, der uns allen verheißen ist: wenn wir alle miteinander so erlöst lachen oder weinen werden – oder wahrscheinlich beides.
Pfarrer Hanno Wille-Boysen, Mailand