Rom, 24. September 2024 – Bei uns in Turin ist “Nachhaltigkeit” schon seit einigen Jahren kein Fremdwort mehr. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, möchte ich an dieser Stelle einige Elemente auf dem Weg zu einer smarteren Stadt aufgreifen.
Viele Stadtviertel Turins fühlen sich eher wie in sich geschlossene Dörfer mit ihrer eigenen Identität an. Als während der Lockdowns 2020 die Einkäufe in Fußläufiger Entfernung vorgeschrieben wurden, stellte zumindest dieser Aspekt hier niemanden vor unlösbare Aufgaben. Die Viertelstundenstadt ohne Bedarf an längeren Anfahrtswegen für alle alltäglichen Bedürfnisse liegt Turin also praktisch im Blut. Auch bei der Suche nach einer geeigneten Gemeindewohnung wurde für uns bald die gute Anbindung zu einer Priorität.
Einige vorübergehend geschlossene Ortsämter wurden mittlerweile wieder geöffnet; die langen Wartezeiten bei der Beantragung von Pässen und Personalausweisen wurden daraufhin wieder kürzer. Zahlreiche behördliche Vorgänge wurden in den letzten Jahren entschlackt, vereinfacht, digitalisiert.
Zugegeben: noch fahren zu viele Autos in der lange Zeit von der FIAT dominierten Stadt herum, und bei der Luftqualität landet Turin nach wie vor auf den unrühmlichen letzten Plätzen. Aber Bürgermeister und Einwohnerinnen bemühen sich redlich, dagegenzusteuern.
Immer mehr Stadtviertel weisen Radwege auf, immer weniger davon führen entweder ins Nichts oder direkt in den Außenbeleuchtung der Gastronomie…
Fahrradständer oder andere geordnete Stellplätze für Fahrräder in Innenhöfen sind inzwischen vorgeschrieben.
Bei den Öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es Licht und Schatten. Seit einigen Jahren erneuert die GTT (Turiner Verkehrsbetriebe) den Fahrzeugpark und setzt dabei zunehmend auf E-Busse. Mit etwas Glück erleben wir auch ohne eine zweite Olympiade unter der Mole noch die Einweihung der zweiten Metrolinie.
Immer mehr Fahrgäste laden per App direkt ihre Fahrkarte aufs Handy. Die Papierkarten werden seit einiger Zeit nicht mehr im herkömmlichen Sinne abgestempelt, sondern elektronisch eingelesen (“gebippt”). Da somit der Stempel nicht mehr erkennbar ist und sich bei einfacher Ansicht ein noch geladenes nicht von einem abgefahrenen Ticket unterscheiden lässt, findet der Fahrgast erst nach dem Einsteigen heraus, ob er/sie das richtige = gültige Ticket eingesteckt hat.
Was die Gültigkeit des Tickets angeht, so bot Turin in der Vergangenheit eine besondere Variante zum Thema. Ab dem Abstempeln war die Fahrkarte 70 oder 80 Minuten gültig, aber wer sich bei Ablauf dieser Frist noch in einem Verkehrsmittel befand, durfte von da an noch bis maximal zur Endhaltestelle dieser Linie weiterfahren, ohne einen weiteren Fahrschein abzustempeln. Vor allem, wenn der Anschlussbus mit leichter Verspätung, aber noch innerhalb der Ablauffrist ankam, war dieses System sehr praktisch.
In meinem Viertel wurde vor inzwischen wohl einem Jahrzehnt eine neue Buslinie eingeführt, die zunächst nur eine recht kurze Strecke abfuhr. Über die Jahre wurde diese Streckenführung immer wieder verlängert und optimiert, vermutlich auch mit Hilfe der Rückmeldungen seitens der Fahrgäste. Inzwischen lässt sich mit dieser Linie unsere Kirche und einer der Turiner Bahnhöfe bequem erreichen.
Auch in Turin streiken die Öffentlichen Verkehrsmittel immer häufiger. Für längerfristige Terminplanungen vermeiden wir deshalb schon die besonders beliebten Streiktage, Montag und Freitag. Unabhängig davon fahren manche Linien grundsätzlich nicht nach 21 Uhr, wodurch manche Gegenden von tagsüber “gut angeschlossen” in abends “kaum angefahren” mutieren.
Die Straßenbeleuchtung wird Schritt für Schritt auf LED umgestellt. In manchen Stadtteilen habe ich den Eindruck, dass zusätzlich auf Bewegungsmelder oder Zeitschaltung gesetzt wird, was ohne Frage beim Energiesparen hilft, dabei aber auch Abstriche bei der Sicherheit in Kauf nimmt. Wer schon einmal ein im Hellen geparktes Auto in kompletter Dunkelheit zwischen zwei ausgeschalteten Straßenlaternen wiederfinden musste, ohne dabei zu Stolpern, weiß, was ich meine…
Immer mehr Straßenzüge können an die Fernwärme angeschlossen werden. Das macht die individuellen Heizungsanlagen überflüssig, was vor allem bei alten Ölheizungen ein Segen für die Umwelt ist, geht allerdings, zumindest bisher, noch mit relativ hohen Heizrechnungen einher. Schenkt man den Taxifahrerinnen Glauben, sind in der Altstadt Kohleheizungen (!) noch gang und gäbe, während insgesamt in der Stadt Immobilien der Energieklasse A oder B noch zu selten sind.
Zum Schluss noch ein paar Worte zum Öffentlichen Grün. In den Turiner Parks werden seit Jahren Schafherden als zusätzliche und natürliche Rasenmäher eingesetzt, gelegentlich haben wir bei uns in der Nähe sogar eine Kuhherde im Park gesichtet.
Seit einigen Monaten haben sich etliche Anwohnerinnen unseres Viertels zusammengeschlossen, um sich gegen
die geplante und längst bewilligte Fällung vieler Bäume an der Hauptstraße des Stadtviertels zu wehren. Ihre Befürchtung: dauerhafter Verzicht auf die schattenspendenden Bäume und wenig Vertrauen in die neuen Bäume, die zunächst zu klein sein würden, um ausreichend Sauerstoff und Schatten zu spenden, was vor allem im heißen Sommer bedenklich wäre. Die Stadtverwaltung befindet sich dadurch in einem Dilemma. Die aktuellen Bäume, amerikanische Ahorne, sind überwiegend schon so alt, dass sie nicht mehr effektiv Photosynthese leisten können und in manchen Fällen so morsch sind, dass sie beim nächstbesten Sturm unkontrolliert umfallen könnten. Die neuen Bäume hingegen wurden extra so ausgesucht, dass sie besser für die neuen klimatischen Gegebenheiten geeignet sind (Weißdorn, Platanen und Nussbaum). Sollten die europäischen Fördermittel für solche Zwecke nicht (rechtzeitig) ausgegeben werden, würden auch andere Stadtviertel in Mitleidenschaft geraten, denn für die Lösung deren Probleme (von Sträuchern überwucherte Straßen und Gehwege, Wildschweine…) könnten die notwendigen Mittel nicht bewilligt werden. Aufmerksame Bürgerinnen und Bürger sind wertvolle Mitstreiter für das öffentliche Wohl, aber manchmal hapert es einfach an der Kommunikation, um die Bedürfnisse aller Beteiligten miteinander zu vereinbaren.
Sabine Wolters