Rom, 20. November 2023 – Die Ereignisse in der evangelischen Kirche von Westfalen, deren Präses Annette Kurschus ebenfalls ist, haben dazu geführt, dass sie auch ihr Amt als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) niedergelegt hat.
Was war geschehen?
Die Staatsanwaltschaft Siegen ermittelt in mehreren Verdachtsfällen gegen einen ehemaligen Kirchenmitarbeiter, der wie Kurschus in den 1990er Jahren im Kirchenkreis Siegen tätig war. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft ist noch unklar, ob bei dem Mann ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt.
In den letzten Tagen ist der Druck auf die Ratsvorsitzende der EKD, die rund 19,2 Millionen evangelische Christen vertritt, enorm gestiegen.
Annette Kurschus war in den Mittelpunkt der Kontroverse geraten, weil sie mit der Familie des Verdächtigen befreundet war. Das EKD-Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt hatte sie kürzlich gebeten, einen Schritt zurückzutreten, um einen reibungslosen Ablauf der internen Untersuchungen zu ermöglichen.
Das EKD-Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt
Sprecher des Forums dankten Annette Kurschus für ihre Entscheidung, auf die Ämter zu verzichten, da dieser Schritt die Arbeit des Forums vor weiteren Belastungen schützte.
Die Rücktritte „können ebenso den weiteren Prozess der Aufklärung – auch bzgl. der Vorwürfe gegen Frau Kurschus – unterstützen“.
Der Schutz und die Unterstützung der von Missbrauch betroffenen Personen „müssen Priorität haben“, heißt es in einer Erklärung.
Die Aufklärung und Ahndung der in Siegen begangenen Straftaten gehören, wie geschehen, in die Hände der Strafverfolgungsbehörden.
Dennoch liegt es in der Verantwortung der Landeskirche, „für lückenlose und unabhängig durchgeführte Aufarbeitung zu sorgen“.
Und nun?
Nach dem Rücktritt von Annette Kurschus, die sich heute Morgen auf einer Pressekonferenz (hier auf Deutsch) sichtlich erschüttert zeigte, übernimmt Kirsten Fehrs ab sofort kommissarisch den Ratsvorsitz der EKD.
Kirsten Fehrs ist evangelische Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck der Nordkirche. Am 10. November 2021 wurde sie zur stellvertretenden Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt.
Die Erklärungen
Annette Kurschus erklärte auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz, dass sie mit sich im Reinen sei, weil sie „zu jeder Zeit nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt“ habe. (Hier die Pressemitteilung in deutscher Sprache)
„Seit mehr als einer Woche wird in der Öffentlichkeit ein Konflikt geschürt,“ sagt sie. „Ein Konflikt zwischen Betroffenen von sexualisierter Gewalt und mir als Amtsträgerin. Ich möchte auf keinen Fall, dass dieser Konflikt die Erfolge gefährdet, die wir in der Aufarbeitung und Bekämpfung sexualisierter Gewalt gemeinsam mit Betroffenen in vielen Jahren errungen haben“.
Der Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein und die westfälische Landeskirche, deren Pfarrerin Kurschus ist, setzen sich seit Anfang 2023 mit Verdachtsfällen sexualisierter Gewalt auseinander, die zum Teil Jahrzehnte zurückliegen.
Der Verdacht richtet sich, wie bereits erwähnt, gegen einen Mann, mit dessen Familie Kurschus seit langem befreundet ist.
Annette Kurschus erklärte jedoch, sie habe nie in einem Dienstverhältnis zu ihm gestanden, auch nicht „zu meiner Zeit als Pfarrerin und Superintendentin im Kirchenkreis Siegen“. Das war vor 25 Jahren.
Kurschus bekräftigte ihren Respekt vor den Betroffenen und erinnerte gleichzeitig daran, dass „auch beschuldigte Menschen und deren Familien Personen mit Rechten sind und bleiben“, deren Persönlichkeitsrechte dennoch geschützt werden müssen.
Diese Aussagen führten dazu, dass die Kontroverse immer weiter zunahm. Auch im Hinblick auf die bevorstehende Tagung der Landessynode der westfälischen Kirche, die in den nächsten Tagen eröffnet wird.