Kommunikation: die Herausforderung der ELKI
Der aus Sizilien stammende Journalist Gianluca Fiusco ist 45 Jahre alt und war bis 2007 Redaktionsleiter regionaler Fernsehsender sowie regionaler, nationaler und europäischer Pressestellen. Danach wurde er von der Waldensertafel als Leiter der Waldensereinrichtung Servizio Cristiano in Rieti beschäftigt. Der evangelische Journalist ist seit 2017 mit Georgia Elisabeth Betz verheiratet und ist Vater von Noa und Theo. Sein Studium der italienischen Literatur und Kommunikationswissenschaft hat er zunächst in Palermo aufgenommen und später in Cassino abgeschlossen. Den anschließenden Master in Diakoniemanagement hat er in Bielefeld gemacht. Heute ist er auch Prädikant der Waldenserkirche. Seine Interessen sind Geschichte, Südamerika und Musizieren: Er spielt nicht nur Klavier, sondern auch Gitarre und Orgel.
Herr Fiusco, nach über 14 Jahren haben Sie die Leitung des Servizio Cristiano in Riesi auf Sizilien abgegeben. Wie fühlen Sie sich dabei und was hat Ihnen diese Arbeitserfahrung gebracht?
2007 wurde ich gefragt, ob ich mich dazu berufen fühlen würde, die Waldensereinrichtung Servizio Cristiano in Riesi zu leiten, und dafür meine gut laufende Karriere als Journalist aufzugeben bereit sei. Meine Arbeit als Leiter des Servizio Cristiano war nicht nur diakonischer Art, sondern bestand auch aus intensivem sozialem Management. Ich verspürte das Bedürfnis, meinem Weg eine neue, mit meiner christlichen Berufung in Einklang stehenden Richtung zu geben. Das war keine einfache Entscheidung für mich, da ich die diakonische Arbeit in einem ökumenischen Werk wie dem Servizio Cristiano sehr geliebt habe. Besonders in einem komplexen Umfeld wie das im Inneren von Sizilien. Aber wie zuvor erwähnt, hat mich mein Bedürfnis, den Weg meiner, von mir dynamisch gelebten Berufung, in einer anderen, transparenten und strukturierten Organisation fortzusetzen, dazu gebracht, eine radikale Veränderung zu erwägen und dann anzunehmen. Ich bringe viel berufliche und menschliche Erfahrung und den freudigen Wunsch nach neuen Kontakten mit: Als Christinnen und Christen sind wir dazu berufen, in der Gesellschaft zu leben, in der wir uns befinden, und uns zu bemühen, sie kennenzulernen, zu verstehen und mit ihr in Dialog zu treten. Wir dürfen uns nicht von der Welt unterkriegen lassen, dürfen uns aber auch nicht den Geschehnissen um uns herum entziehen.
Was erwarten Sie sich von der Ihrer neuen Tätigkeit bei der ELKI?
Ich erwarte mir nichts Bestimmtes, weil ich mit Neugier und Kreativität an meine neue Aufgabe herangehen möchte. Ich gehe sogar so weit, zu sagen, dass unser Horizont Christi neue Welt ist: Es gibt kein Modell für Engagement, Verkündigung, Zeugnis und Kommunikation, das für alle, immer und überall in Italien passend ist, und das wir, ohne unseren Weg zu gehen, erreichen können. Der Horizont, dem wir entgegengehen, ist der der Gnade Gottes. Der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano schreibt dazu: „Die Utopie, sie steht am Horizont. Ich bewege mich zwei Schritte auf sie zu und sie entfernt sich um zwei Schritte. Ich mache weitere 10 Schritte und sie entfernt sich um 10 Schritte. Wofür ist sie also da, die Utopie? Dafür ist sie da: um zu gehen!“
Warum gerade die Evangelisch-Lutherische Kirche in Italien?
Weil ich die mir angetragene Herausforderung als einen neuen Weg betrachte, den es in gewisser Weise zu erschließen gilt. Die ELKI durchlebt eine wichtige und kritische Phase, in der sie über ihre Gegenwart und ihre Zukunft nachdenkt und reflektiert. Dieses Bewusstsein zu erlangen, ist von großer Bedeutung, und das wollte ich sehr ernst nehmen.
Wie sehen Sie die Lutheraner in Italien und auf europäischer und globaler Ebene?
Persönlich denke ich, dass die Lutherischen Kirchen mit Vertrauen und Mut versuchen sollten, die Herausforderung anzunehmen, vor die sie von der italienischen Gesellschaft tagtäglich gestellt werden. Aus dem, was heute als Schwächen wahrgenommen wird, sollten sie, so weit es möglich ist, Stärken machen: Zahlen, Präsenz, Initiativen usw. Das ELKI-Modell, wie auch immer man darüber denken mag, ist etwas Originelles im Panorama der Kirchen, die sich zum Bund Evangelischer Kirchen in Italien bekennen. Auch kleine Kirchen können zum Wachstum der Gesellschaft beitragen. Aber das ist weder einfach noch selbstverständlich. Es wird also von den Lutheranern selbst abhängen, ob sie „gesehen“ werden, nicht nur von mir oder durch meine Arbeit. Man denke z.B. an die internationale Ökumene, in der die ELKI, eine zweisprachige Kirche, ihren festen Platz hat. Ein sicheres Zeichen für das langjährige, aufmerksame Knüpfen von Beziehungen. Gerade weil sie in der italienischen Gesellschaft lebt, sollte die ELKI die von ihr gelebte Berufung zu Freiheit und Engagement der und die Ökumene, Teil derer sie ist, bezeugen können. Und in diesem Rahmen ist meiner Ansicht nach ein entschiedener Vorstoß in Richtung der „Brücken“-Rolle angebracht, wenn nicht gar notwendig, die die ELKI selbst ausüben kann.
Wie haben Sie die letzte lutherische Synode erlebt?
Es war eine neue, aber auch typische Erfahrung für mich. Typisch insofern, als ich Ähnlichkeiten mit den Synoden der Waldenserkirche gesehen habe: Es ist eine beratende und beschlussfassende Versammlung, bei der beide Konfessionen sich an der Kirchenleitung beteiligen und die volle Verantwortung dafür übernehmen. Neu in dem Sinne, dass ich hinsichtlich der behandelten Themen und der Leitung der Diskussionen ein effizientes Niveau an Bewusstsein gesehen habe, das durch eine angemessene Vorbereitung der zur Diskussion gestellten Anträge erlangt wird. Sehr beeindruckt hat mich die herzliche Aufnahme, die mir vom Konsistorium und von verschiedenen Synodalen entgegengebracht wurde. Ob sie mich kannten oder nicht, viele haben mir Fragen gestellt und Wertschätzung und Mut zugesprochen. Ich habe mich gewiss nicht fremd gefühlt.
Hatten Sie bereits Gelegenheit, einige der lutherischen Gemeinden kennenzulernen?
Das ist ein Punkt auf meiner Agenda. Ich möchte mir Zeit nehmen, um die lutherischen Gemeinden der ELKI zu besuchen und kennenzulernen. Aber ich möchte es auf meine Art tun, und zwar indem ich versuche, bei ihren Initiativen und Veranstaltungen am Gemeindeleben teilzunehmen. Auf diese Weise hoffe ich, Zeit und Ressourcen zu optimieren, und mir bewusst darüber zu werden, wie sich die Gemeinden auf lokaler Ebene engagieren und wie ich mich mit meiner Arbeit für sie nützlich machen kann. Deshalb werde ich mit großer Freude meinen Brüdern und Schwestern und den Kirchen aufmerksam zuhören, und mit meinen wenigen oder vielen Gaben, mit Gedankenklarheit und Ideen, die ich bereits eingebracht habe und es auch weiterhin tun werde, zur Verfügung stehen.
Wie können Sie Ihrer Meinung nach eine positive Ressource für unsere Kirche und ihre Zukunft sein?
Ich hoffe, die vielfältigen Gaben der ELKI darstellen zu können, und den Austausch mit der italienischen Gesellschaft, mit der Kultur des Landes, in dem die ELKI lebt und wirkt, für alle immer effektiver und konstruktiver zu gestalten. Andererseits zeugt die Wahl eines italienischen Muttersprachlers von einem spezifischen Bedürfnis der Kirche, dem ich mich nicht entziehen will. Ich vertraue darauf, dass die Kirche und die Gemeinden sich beteiligen werden, indem sie akzeptieren, begleitet zu werden und auch mich auf diesem Weg auf eine neue und mutige Weise zu begleiten.
Luther nutzte die Medien seiner Zeit: gedruckte Bücher, Flugblätter. Mit welchen Medien erreichen wir heute am besten die Menschen?
Luther ist eine metahistorische Figur, die aus vielen verschiedenen Gründen emblematisch ist. Er war ja der Begründer der modernen deutschen Sprache, da er die Bedeutung des Wortes als Instrument für das Entstehen von Bewusstsein, Freiheit und Beziehung zu Gott und dem Nächsten erkannte. Er hat sich konsequent an die Lehre Christi gehalten: die „frohe Botschaft“ verkünden, die Worte in den Mittelpunkt stellen, nicht nur wegen ihrer Bedeutung, sondern weil sie, das Leben der Menschen konkret beeinflussen. Luthers Originalität liegt daher in dem Willen, Worte an die historische Realität, in der er lebte, zu knüpfen, ohne darin gefangen zu bleiben, sodass die Verkündigung hier und jetzt dazu dient, ein morgen und ein anderswo zu ermöglichen. Man denke an die 95 Thesen, aber auch an seine Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“. Luther entzieht sich nicht dem Problem, wie die Debatte über das, was für uns die Reformation werden würde, zu einer öffentlichen Debatte gemacht werden kann. Dabei kam ihm eine damals noch neue Erfindung zu Hilfe: der Buchdruck. Die technische Erfindung gab Luthers theologischem Scharfsinn einen unbestreitbaren Impuls, und machte die Verbreitung seiner Gedanken, Ideen und Vorschläge möglich. Heute gibt es andere moderne technologische Medien. Aber wir bedienen uns auch unterschiedlicher Ausdrucksweisen, je nachdem, welche Medien wir verwenden und an wen wir uns richten wollen. Bilder und Worte gehen Hand in Hand. Eine Vielzahl von Plattformen, von Fenstern zur Welt, in der man präsent sein kann.
Unsere Gemeinden zeigen mit ihren Projekten vor Ort soziale Verantwortung. Wie stellen Sie sich eine regelmäßige Kommunikation dieses Engagements unserer Gemeinden vor, ohne diese allzu sehr mit Mehrarbeit zu belasten?
Soziale Verantwortung ist eine Frucht des gelebten Glaubens, der die Predigt in die Praxis umsetzt. Diese Prämisse macht uns jedoch nicht nur zu Zeugen, sondern zu engagierten Menschen. Die ELKI hat eine unglaublich große Erfahrung mit lokalen Initiativen: Integration und Betreuung von Flüchtlingen in Bozen, ein Projekt, das von Frauen der Ortsgemeinde mit Hartnäckigkeit und Weitsicht initiiert wurde und geleitet wird, oder das Armenfrühstück in Rom, die Projekte im Golf von Neapel, aber auch die Touristenseelsorge und vieles mehr. Alles Beispiele für Beziehung, Aufnahme, aktivem Zuhören und Begegnung. Und dann gibt es auch die kulturellen und musikalischen Initiativen der Gemeinden, ein weiteres Element, das alles andere als zweitrangig ist. All dies wird durch die kirchliche Struktur der ELKI ermöglicht, die sich durch große lokale Autonomien mit sehr unterschiedlichen Merkmalen was Sensibilität, Beziehungen zum Gemeindegebiet und soziale Verantwortung anbelangt auszeichnet. Um über diese Vielzahl von Initiativen, Gaben und Vorschlägen effektiv zu berichten, wird es auch notwendig sein, eine neue und zeitnahe Art der internen Interaktion aufzubauen. Ein wesentlicher Punkt dabei ist, dass die die Gemeinden betreffenden Informationen geteilt werden, und dass der Informationsfluss und die Medienpräsenz auf akkurate und transparente Weise gehandhabt werden.
Wie wichtig sind kritische Stellungnahmen einer kleinen Kirche, wie wir es sind, zu aktuellen Themen?
Sich in die öffentliche Diskussion einzubringen, ist gewiss nicht zweitrangig. In der Apostelgeschichte werden wir ausdrücklich dazu ermahnt, zu reden und nicht zu schweigen. Wir sollten also unser Zeugnis nicht abwerten, indem wir denken, dass es nebensächlich oder sogar überflüssig ist. Aber mehr noch! An der öffentlichen Diskussion teilzunehmen, ist keine zweitrangige Option. So klein, unbedeutend, marginal sich unsere Kirchen auch fühlen mögen, sie sind dazu aufgerufen, Rechenschaft über ihre Berufung abzulegen. Das bedeutet in erster Linie, sich selbst zu hinterfragen. Wir leben in einer Zeit, in der alle auf alles Antworten haben. Was fehlt, sind häufig die Fragen. Wenn es uns auch nur gelingen wird, uns und der Gesellschaft die richtigen Fragen zu stellen, wird unser Engagement nicht umsonst gewesen sein.