Meine Arbeit als Pastorin der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Neapel ist im Moment stark geprägt vom Krieg in der Ukraine. Viele Flüchtlinge von dort kommen auch in Neapel an. Wir selber haben keine Räume, um jemanden aufzunehmen, darum beteiligen wir uns an Projekten anderer – vor allem beim evangelischen Krankenhaus „Betania“. Das ist ein solidarisches Krankenhaus, das wir mitgegründet haben; zurzeit bringen sie Hilfsgüter in die Ukraine oder an die Grenzen und suchen Räume zur Unterbringung von Flüchtlingen.
Daneben bleibt für mich aber die bittere Frage, warum es in all den Jahren vorher nicht möglich war, Flüchtlingen aus anderen Ländern zu helfen, die genauso vor Krieg im eigenen Land oder vor Hunger geflohen sind. Bei aller Freude über die große Hilfsbereitschaft in ganz Europa gegenüber den Menschen aus der Ukraine: Warum ist das jetzt innerhalb kurzer Zeit alles möglich? Sicher, weil dieser Krieg uns ganz nahe kommt – und vielleicht auch, weil er unseren eigenen Wohlstand und Frieden bedroht.
Als Christen sollten wir aber keinen Unterschied machen, aus welchem Land jemand kommt, sondern allen helfen! Mit großem Vorbehalt sehe ich die in kurzer Zeit beschlossenen Aufstockungen der Rüstungshaushalte der europäischen Länder. Dass man sich jahrzehntelang bemüht hat, die Unsummen in der Aufrüstung zu senken und stattdessen ins Gesundheitswesen zu investieren sowie ins Schul- und Ausbildungswesen, scheint vergessen. Als ob jemals mit Waffen Frieden erreicht werden könnte! Wir als Europa haben falsche Prioritäten gesetzt. Wir haben es versäumt, rechtzeitig und langfristig über den Frieden zu verhandeln und haben uns stattdessen wirtschaftlich abhängig gemacht von Ländern – unter anderem Russland, deren Menschenrechtsverletzungen ignoriert wurden. Jetzt scheint es keine Alternativen mehr zu geben als nur mit Waffen zu antworten, direkt oder indirekt. Doch das entspricht nicht unserem christlichen Auftrag. Stattdessen denke ich an Dietrich Bonhoeffers Worte[1]: „Wie wird Friede? Durch ein System von politischen Verträgen? Durch Investierung internationalen Kapitals in den verschiedenen Ländern? … Oder gar durch eine allseitige friedliche Aufrüstung zum Zweck der Sicherstellung des Friedens? Nein, durch dieses alles aus dem einen Grunde nicht, weil hier Friede und Sicherheit verwechselt wird. Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn Friede muß gewagt werden, ist das eine große Wagnis, und läßt sich nie und nimmer sichern. Friede ist das Gegenteil von Sicherung.“
Pfarrerin Kirsten Thiele, Neapel
[1] Rede auf der ökumenischen Fanö-Konferenz, gehalten am 28.8.1934