Die gegenwärtige Passionszeit, die Tage zwischen Aschermittwoch und Ostern, sind eine Phase des Bruchstückhaften.
In diesen Wochen stellen mir die biblischen Erzählungen über die Passion Jesu Christi besonders deutlich menschliche Abgründe vor Augen: Sie erzählen von Verrat und fehlendem Mut, von brüchigen Beziehungen, von Schuld und Scham.
So konfrontieren sie mich mit meinen eigenen Abgründen, mit dem, was in meinem Leben bruchstückhaft bleibt oder womöglich ganz zerbrochen ist.
In der kirchlichen Tradition der Buße und des Fastens haben Menschen immer wieder Wege gefunden, ihre persönlichen Bruchstücke ganz bewusst vor Gott zu bedenken. Sie tun dies in der gewissen Hoffnung, dass die Scherben und Splitter ihres Lebens bereits jetzt, in der Zeit der Passion und des Leidens, von der Auferstehung Jesu Christi her in einem neuen Licht erscheinen.
Aus Japan stammt eine alte Handwerkskunst, die auf besondere Weise mit Bruchstücken und mit Scherben umzugehen weiß. Die dort angewandte Technik wird mit dem Begriff „Kintsugi“ bezeichnet, übersetzt bedeutet das soviel wie: „reparieren mit Gold“. Anstatt einen zerbrochenen Teller etwa bloß notdürftig zusammenzuflicken, damit die entstandenen Risse so gut wie möglich kaschiert werden, verwendet man hier eine goldfarbene Füllmasse als Kitt. Eine geniale Idee, wie ich finde. Man integriert die Bruchstellen ganz bewusst, ja hebt sie sogar hervor. Die Scherben und Fragmente erhalten so eine völlig neue Qualität und es entstehen wahre Unikate, die auf einmal sogar in einer ungeahnten Schönheit erstrahlen.
Ich wünsche Ihnen und mir, dass inmitten unserer je eigenen Brüche und Unvollkommenheiten bereits jetzt die Auferstehungswirklichkeit Christi aufscheinen und sie so in ein bisher ungekanntes Licht rücken möge.
Und ich wünsche uns die Gewissheit, dass die Liebe Jesu Christi zu uns in allen Bruchstücken und allem Abgebrochenen vollkommen und ungebrochen bleibt, getreu dem Monatsspruch für den Monat März: „Was kann uns scheiden von der Liebe Christi?“ (Römer 8,35).
Pfarrerin Vanessa Bayha,
Studienleiterin des Melanchthon Zentrums Rom