“Genug diskutiert”, rief der Mann auf dem Podium unter zustimmendem Nicken und Raunen des Publikums, “jetzt lasst uns endlich anfangen was zu tun!”.
Interessant, dachte ich: Dann ist wohl Diskutieren gar keine Tätigkeit, sondern… Ja, sondern was eigentlich? Zuhören, Antworten, Nachfragen, sich darum bemühen, seine Haltung und Meinung in Worte zu fassen, versuchen, den anderen zu verstehen – ganz einfach: Miteinander reden: für den Mann auf dem Podium wie für die allermeisten im Saale war all das wohl gerade eher das Gegenteil von ‘etwas tun’.
Was ja den Geist der Zeit auch passend widerspiegelt: Machen statt Reden. Am besten mit dem Zusatz, dass es eh keine Alternative gibt: “Alternativlos” ist eines der Lieblingsworte, um jede Diskussion über das, was wir tun, sofort im Keim zu ersticken. Eines der Lieblingsworte der selbsternannten oder von anderen bestimmten Macherinnen und Macher. “Täterinnen” und “Täter” darf man wohl eher nicht sagen. Oder zumindest noch nicht. Die Geschichte wird’s weisen.
“Als wir unser Ziel aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen”, sagte einst Mark Twain, und ein bisschen scheint es so, als habe er nicht im 19. Jahrhundert, sondern mitten unter uns im 21. gelebt.
Wo wollen wir eigentlich hin? Was haben wir eigentlich vor? Was machen wir eigentlich gerade? – Geht es uns vielleicht wie diesem einen Baumfäller in Kanada? Mit seinem stumpf gewordenen Beil drischt er auf einen riesigen Stamm ein, und als ein Mann vorbeikommt und ihm anbietet, seine Axt zu schärfen, ruft er ihm nur schwitzend zu: ‘Keine Zeit, ich muss noch zu viele Bäume fällen!’
“Seid Täter des Wortes und nicht Hörer allein, sonst betrügt ihr euch selbst”. Schnell gelesen, quasi mit stumpfer Axt, klingt das wie eine Einladung an all die Tatkräftigen, so weiterzumachen wie bisher, oder möglichst noch mehr zu tun, sich noch mehr Mühe zu geben, sich noch mehr zu verausgaben.
Langsam gelesen, stellt sich da knurrend ein Wort in den Weg: Nicht Hörer allein, steht da. Also: nicht ausschließlich Hörer. Sondern, wenn ihr gehört habt, dann setzt das Gehörte auch um, dann lebt auch danach. Dann! Aber Hören ist der Anfang, die Grundlage, die Voraussetzung der Tat, oder zumindest Voraussetzung, das Richtige tun zu können. Jedenfalls, wenn man dem Jakobusbrief glaubt.
Der Polarforscher John Franklin, Protagonist in Sten Nadolnys Roman “Die Entdeckung der Langsamkeit”, sagt (im Roman) sinngemäß: “Ich nehme mir das Recht heraus, so lange ein dummes Gesicht zu machen, bis ich wirklich etwas verstanden habe.”
Ich finde: Eine mutige Entscheidung. Geradezu vorbildlich. John Franklin ließ sie einen neuen Weg durch das Packeis des Nordmeeres finden. Welche neuen Wege durch welches Packeis sie uns wohl entdecken ließe?
Pfarrer Hanno Wille-Boysen, Mailand