Rom, 25. April 2023: Zahlreiche Gäste bei der kommenden Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien. Zum ersten Mal mit dabei: der Bischof der Evangelischen Kirche Österreichs, Dr. Michael Chalupka.
“Salz der Erde zu sein bedeutet, nicht an der Kleinheit unserer Kirchen in der Diaspora zu verzagen, sondern mutig das protestantische Abenteuer in einer nicht-evangelischen Umgebung zu leben”.
So die Ermutigung, die Chalupka im Interview mit unserem Kommunikationsbeauftragten Dr. Gianluca Fiusco ausspricht.
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F: Sie werden zum ersten Mal an der ELKI-Synode teilnehmen. Was hat Sie dazu bewogen, die Einladung zur lutherischen Synode in Italien anzunehmen?
Chalupka: Die Begegnung mit der ELKI ist schon seit meinem Amtsantritt im September 2019 geplant. Doch das Zusammentreffen bei den christlichen Begegnungstagen in Graz, wie auch der Besuch bei einer der Synoden fielen der COVID-Pandemie zum Opfer. Deshalb freue ich mich jetzt umso mehr unsere südliche Nachbarkirche besuchen zu dürfen. Persönlich habe ich eine große Nähe und Liebe zum Protestantismus in Italien, da ich 1985-1987 im „Centro ecumenico d’Agape“ der Waldenserkirche mitgearbeitet habe.
F: Die Herausforderungen für Lutheraner/innen in der heutigen Zeit sind enorm. Sinkende Kirchenmitgliederzahlen, die Klimakrise, der Krieg in Europa. Wie stellen Sie sich diesen Herausforderungen in Österreich?
Chalupka: Seit 2019 läuft in unserer Kirche der Prozess :“Aus dem Evangelium leben“, in mehr als 120 Pfarrgemeinden werden neue Formen des Gemeindelebens erprobt, mit den Schwerpunkten der Zusammenarbeit in der Region, dem Arbeiten in Teams und der Vertiefung unserer österreichischen Identität als Diasporakirche. Das Vorjahr 2022 stand ganz unter dem Zeichen der Bewahrung der Schöpfung. Die Generalsynode der Lutherischen und Reformierten Kirche hat dazu ein theologisches Grundsatzpapier beschlossen und ein Klimaschutzkonzept mit verbindlichen Zielen steht kurz vor der Umsetzung.
F: Inwiefern muss eine Kirche sich mit den wichtigsten Themen der politischen Agenda auseinandersetzen oder muss sie sich aus ihnen heraushalten?
Chalupka: Die Verkündigung des Evangeliums hat immer gesellschaftspolitische Auswirkungen. Ist aber niemals deckungsgleich mit parteipolitischen Optionen.
F: Sie waren auch Leiter der österreichischen Diakonie: Wie wichtig ist diakonisches Handeln heute, vor allem angesichts der akuten gesundheitlichen und sozialen Brennpunkten, die unsere Gesellschaften in Europa bedrohen?
Chalupka: Kirche und Diakonie gehören untrennbar zusammen. Kirche ohne diakonisches Engagement ist genauso undenkbar, wie eine Diakonie, die ihre geistliches Fundament verliert. Diakonie ist aber mehr als nur Hilfe, sie ist selbst geistliche Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern.
F: 2023 jährt sich die Unterzeichnung der Leuenberger Konkordie zum 50. Mal: Handelt es sich dabei um ein unveränderbares Dokument oder ist eine Aktualisierung des Textes denkbar und notwenig?
Chalupka: Die Leuenberger Konkordie ist ein historisches Dokument, das immer noch mit Leben gefüllt werden muss und wertvolle Impulse für die Einheit des Protestantismus in seiner Vielfalt liefert. Inwieweit der Ansatz der Leuenberger Konkordie auch ökumenische tragfähig ist, muss sich in den Gesprächen mit der römisch-katholischen Kirche noch erweisen.
F: Was wünschen Sie sich für die Zusammenarbeit der ELKI mit der Evangelischen Kirche in Österreich für die Zukunft?
Chalupka: Ich wünsche mir einen vertieften Austausch darüber was es heißt, Kirche in der Diaspora zu sein und darüber wie sich Gemeinden durch die Aufnahme von Menschen, die als Flüchtlinge oder Migranten zu uns kommen, verändern.
F: Sizilien ist eines der Zugänge zu Europa. Auch aktuelle gibt es zahlreiche Ankünfte von Geflüchteten. Wie können die europäischen Länder zum Thema Migration handlungsfähiger werden?
Chalupka: Durch das Programm der “Humanitären Korridore” hat ja der Kirchenbund der Evangelischen Kirchen Italiens ein Modell erarbeitet, das richtungsweisend ist. Damit Europa seinen Verpflichtungen aus der Genfer Konvention nachkommen kann, braucht es legale Fluchtwege, korrekte Asylverfahren und einen Mechanismus der Aufnahme, der alle Mitglieder der EU in die Verantwortung nimmt. Daneben benötigt es vor allem ein Modell der regulären Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt, um dem Mangel an Arbeitskräften zu begegnen und die Ausbeutung in der Schwarzarbeit zu verhindern.
F: Auch in Italien gibt es viele soziale, sexuelle und kulturelle Minderheiten, die in unserer Gesellschaft benachteiligt werden. Welche Rolle kann die Kirche bei der Überwindung alter und neuer Formen der Diskriminierung spielen?
Chalupka: Als Kirchen, die selbst in der Minderheit leben, ist es notwendig sich nicht abzukapseln, sondern den Pluralsmus als Reichtum zu erkennen und sich gegen jegliche Diskriminierung anderer Minderheiten auszusprechen.
F: Das Motto der lutherischen Synode lautet: Ihr seid das Salz der Erde. Was kann das Ihrer Meinung nach im Alltag konkret heißen?
Chalupka: Das Leben sollte besser schmecken, wenn man mit dem Evangelium in Berührung kommt. Wo auch immer, durch wen auch immer.
F: Mit welchen Erwartungen machen Sie sich nach Catania auf?
Chalupka: Ich freu mich auf eine lebendige Kirche in der Diaspora, die ob ihrer Kleinheit nicht verzagt, sondern mutig ein protestantisches Abenteuer in einer nicht-evangelischen Umwelt lebt.