Interview mit dem Dekan der ELKI, Pfr. Heiner Bludau

Vor vier Jahren ist Heiner Bludau, Pfarrer der Gemeinde Turin, Dekan der Evangelisch Lutherischen Kirche in Italien geworden. Am 30. April steht er auf der Synode in Turin zur Wiederwahl an. Die erste Kandidatur war eine Reaktion auf das Dilemma „Wer soll es denn machen?“. Seine zweite Kandidatur ist eine bewusste Entscheidung, nicht zuletzt auch, weil ihm diese kleine Kirche ans Herz gewachsen ist.

Sie waren bei ihrer ersten Wahl bereits seit vier Jahren in Italien. Wie kam es zur Entscheidung, sich zur Wahl als Dekan zu stellen?

Heiner Bludau: Zunächst sah es so aus, als gäbe es keinen anderen Kandidaten, und da habe ich mich mit Zittern und Zagen auf die Anfrage eingelassen. Ich kann nicht sagen, dass ich Ambitionen für diese Position hatte.

            Sollten sie bei der nächsten Synode in Rom im Amt bestätigt werden, werden sie insgesamt zwölf Jahre in Italien verbringen, normalerweise läuft die Amtszeit der Pfarrer ja nach maximal neun Jahren aus.

Heiner Bludau: Ich muss zugeben, dass dies auch ein Aspekt ist, der mich angeregt hat, ein weiteres Mal zu kandidieren. Ich bin sehr gerne hier in Italien, und die Aussicht, länger bleiben zu können und in dieser so besonderen Kirche weiter wirken zu können, das Konzept autonome, interaktive Kirche weiterzubringen, zu spüren, was es braucht, was es zu vertiefen gilt, reizt mich.

            Wenn sie zurückschauen, was fällt Ihnen spontan ein? Was hat sie besonders bewegt während ihrer Zeit als theologischer Leiter dieser kleinen Auslandskirche?

Heiner Bludau: Ja, was war in diesen vier Jahren? Ich habe natürlich auch für meinen Bericht, den ich bei der Synode vortragen werde, darüber nachgedacht. Das Erste, was mir einfällt, ist, dass mir diese kleine Kirche ungemein ans Herz gewachsen ist. Ich bin durch meine Tätigkeit als Dekan natürlich über Turin hinaus viel intensiver in die ELKI hineingewachsen. Ich verstehe Kirchenleitung nicht als ein „Über den Gemeinden Stehen“, Kirche ist für mich vielmehr ein Gebilde, das sich auf einer Ebene aus den unterschiedlichen Gemeinden zusammensetzt.

            Im Gegensatz zu Deutschland sind die einzelnen Gemeinden in Italien jede auf ihre Art eine ganz besondere Einheit mit einer ganz eigenen Entstehungsgeschichte…

Heiner Bludau: Genau, und vor nahezu siebzig Jahren haben sie sich dann zu dieser Kirche zusammengefunden, die tatsächlich ganz anders ist als die deutschen Landeskirchen. Das ist „Kirche andersrum“, als wir es gewohnt sind. Und ich finde das ungemein spannend. Diesen wechselseitigen Prozess und dieses Zusammenwachsen, dieses Schauen über den eigenen Tellerrand im Interesse der Gemeinschaft.

            Sie sind im Gegensatz zu den Kirchenleitungen in Deutschland als Pfarrer der Gemeinde Turin noch ganz konkret in den Alltag und die Betreuung einer Gemeinde eingebunden.

Heiner Bludau: Tatsächlich ist unsere Kirchenleitung hier sehr schlank, es gibt kein Landeskirchenamt. Ich sehe meine Aufgabe wie gesagt nicht als eine Leitung von oben, sondern als ein Miteinander, als ein Unterstützen der Gemeinden. Die Nähe zur Basis ist für mich ein ganz entscheidender Aspekt.

            Pfarrer und Dekan, das ist ja auch ganz schön zeitintensiv?

Heiner Bludau: Ich muss gestehen, dass ich dabei auch immer wieder an meine Grenzen gelangt bin. Ich bin sehr glücklich, dass meine Turiner Gemeinde über die dienstliche Unterstützung durch meine Frau Annette hinaus viele Dinge übernommen hat und sich nie lamentiert hat, dass ich so viel weg bin. Aber das Erleben unserer kleinen Kirche ist ungemein anregend. Die ELKI ist ein Laboratorium, wo wir vieles verwirklichen können.

            Zum Beispiel?

Heiner Bludau: Ein schönes Beispiel ist die Struktur unserer Diakonie. Kein abgehobenes Diakonisches Amt, sondern eine Referentin, die schaut, was gibt es in den Gemeinden, wo und wie kann ich helfen, Initiativen zu verwirklichen. Aber auch das Vernetzen der Gemeinden auf vielen Ebenen. Die Gemeindefreizeit, die Gemeindeakademie, übergemeindliche Aktionen, die den Austausch und das Voneinander Lernen fördern und gleichzeitig Identität schaffen.

            Sie sind – in besonderer Weise auch im Lutherjahr 2017 – mit vielen politischen und katholischen Institutionen zusammengekommen. Wie haben Sie das erlebt?

Heiner Bludau: Es hat mich schon bei meiner Ankunft in Italien vor acht Jahren sehr überrascht, mit welcher Selbstverständlichkeit wir hier wahrgenommen werden, welches Interesse uns entgegenschlägt. Nicht nur im vergangenen Jahr. Ich hatte mir im katholischen Italien eher eine Ghettosituation vorgestellt.

            Eine kleine abgekapselte, mit großer Skepsis betrachtet Diasporakirche?

Heiner Bludau: Genau. Und dann haben wir im Oktober 2017 als Mikro-Kirche zusammen mit der italienischen Bischofskonferenz getagt und nicht nur: die katholische Kirche hat die Reformation zum Jahresthema gemacht! Der Dialog zwischen den Kirchen findet tatsächlich auf den verschiedensten Ebenen statt. Auch in der Gemeinde Turin. Ich hatte vorher immer gedacht, die katholische Kirche ist sich selbst genug. Aber es kommen immer wieder Anfragen. Wer seid ihr? Was hat es mit der evangelischen Theologie auf sich? Ich selbst habe von katholischer Seite hier in Italien Dinge über Luther erfahren, die ich in Deutschland so nie gehört habe. Das theologische Gespräch empfinde ich als äußerst interessant, die gemeinsame Frage: Wie kann Kirche heute glaubwürdig sein?

            Was ist Ökumene für sie?

Heiner Bludau: Sicher nicht das Zusammenraufen von kirchlichen Institutionen! Es ist ja einerseits irritierend, da gibt es diese vielen Kirchen und alle sagen sie Christus ist wichtig und dann können sie sich nicht leiden. Nein, Ökumene ist, die verschiedenen Wege wahrzunehmen, sich einerseits zu differenzieren und dann aber doch die Gemeinsamkeiten herauszuheben. Und im Zentrum steht die biblische Botschaft.

            Aber entspricht die Ökumene tatsächlich auch einem Bedürfnis der Gemeindeglieder?

Heiner Bludau: Da sprechen sie einen wunden Punkt an. In der Tat wird Ökumene wohl hauptsächlich von uns Theologen gelebt, da sehe ich in der Tat eine große Aufgabe. Es ist ja irgendwie auch nachvollziehbar. Die Leute in den Gemeinden leben zum Großteil in einem italienischen und katholischen Umfeld und suchen ganz bewusst das deutsche und das evangelische Ambiente. Aber wir müssen uns trotzdem der italienischen Kultur und Sprache und den anderen Konfessionen öffnen. Auch wenn das vielleicht nicht unbedingt angesagt ist, sehe ich das als unseren Auftrag. Es steht schließlich auch gleich an zweiter Stelle in unserem Statut!

            Im Sinne auch einer Rückbesinnung auf die Wurzeln?

Heiner Bludau: Sicher. Luther wollte keine eigene Kirche gründen, sondern die gesamte Kirche reformieren.

            Die Evangelisch Lutherische Kirche in Italien ist vielen ein Stück soziale Heimat…

Heiner Bludau: Ganz bestimmt und die deutschen Wurzeln sind wichtig. Aber wir müssen uns doch fragen, was wollen wir hier sein: deutsche Auslandskirche oder offene lutherische Gemeinde in Italien und schauen, wer zu uns findet. Ich vertrete eindeutig letzteres. Diesen Prozess finde ich für die Zukunft unserer Kirche sehr wichtig!

            Apropos Zukunft: Wie sieht es aus mit dem Nachwuchs?

Heiner Bludau: Die ELKI wird bald 70, es gibt Alterserscheinungen, es muss eine Erneuerung der Generationen stattfinden. Kinder- und Jugendarbeit ist nicht nur der Kinder-Gottesdienst. Wir müssen die Jugendlichen aktiv mit einbeziehen in die Gemeindearbeit. Und dann gibt es in vielen Gemeinden gar nicht so viele Kinder und Jugendliche. Auch aus diesem Grund müssen wir offen sein nach außen und unsere Existenz bekannt machen.

            Die ELKI ist eine Kirche, die, so klein sie ist, sich stark in die Gesellschaft einbringt und politische Positionen bezieht.

Heiner Bludau: Auf jeden Fall. Als Kirche und als Gemeinschaft müssen wir nicht nur sagen, was wir für richtig und falsch halten, sondern uns auch aktivieren und Verantwortung zeigen. Zum Beispiel im Rahmen des Projektes der abgeschobenen Flüchtlinge gemäß des Dublin-3-Abkommens. Wir haben Hilfsprojekte für Erdbeben Opfer. Wir haben mit der Patientenverfügung Stellung bezogen zu Fragen der Sterbebegleitung, wozu es jetzt endlich auch ein Gesetz gibt, wir haben die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare vor einigen Jahren durch die Synode beschlossen, nachdem darüber in unseren Gemeinden diskutiert worden ist. Das hat alles mit Theologie zu tun, aber auch mit Engagement!

            Eine letzte Frage: Wie definieren sie sich als Pfarrer?

Heiner Bludau: Ich bin der Mitarbeiter der Gemeinde, der das theologische Fachwissen hat und den Auftrag, die biblische Botschaft weiterzutragen. Als Dekan sehe mich als Koordinator, der auf Impulse und Botschaften hört und daraus zusammen mit dem Konsistorium Konzepte erarbeitet.

nd

Roma, 16. April 2018

3. Sitzung der XXII. Synode der ELKI vom 28.04. – 01.05.2018 in Rom

Im vergangenen Jahr ging es um den festlichen Rückblick auf 500 Jahre Reformation, bei der Synode 2018 der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien, ELKI, steht hingegen die Zukunft im Brennpunkt. „Quo vadis, CELI – ELKI – 501 E adesso? Was wir wollen“ ist das bezeichnende Motto, unter dem sich das Kirchenparlament der ELKI, bestehend aus 55 Synodalen, vom 28. April bis 1. Mai in Rom versammelt.

Mit dem Dekan und dem Vize-Dekan stehen die beiden sowohl in spiritueller als auch in programmatischer Hinsicht leitenden Funktionen der ELKI zur Wahl. Heiner Bludau, Pfarrer in Turin, stellt sich nach einer ersten Amtsperiode zur Wiederwahl als Dekan, Urs Michalke, Pfarrer der Gemeinde Verona hingegen stellt sein Amt als Vize-Dekan zur Verfügung. Um seine Nachfolge bewirbt sich Pfarrerin Franziska Müller, die mit ihrem Mann Pfarrer Friedemann Glaser die Gemeinde Toskana – Emilia–Romagna betreut.

Die Wahl ist aber nur der letzte Tagesordnungspunkt dieser Synode, die geleitet wird von Synodalpräsident Georg Schedereit und seinem Vize Wolfgang Prader. Weichenstellung für die Zukunft ist das Stichwort für die Arbeiten, die sich das kollektive Organ der ELKI für ihr Jahrestreffen vorgenommen hat. 501 – das ist ein Aufruf, sich nicht auf dem durch die Reformationsfeierlichkeiten erlangten Bekanntheitsgrad auszuruhen, sondern konstruktiv an der Zukunft dieser ebenso kleinen wie aktiven Kirche zu arbeiten.

Im Zentrum stehen am Sonntagnachmittag vier programmatische Arbeitsgruppen zu je 15 Teilnehmern, die sich mit den Thematiken 1) ELKI Profil, 2) ELKI Prioritäten, 3) Mittelbeschaffung sowie 4) Internet- und Öffentlichkeitsarbeit befassen werden. In den Kleingruppen sollen die Fragen vertieft werden, wie sich die Evangelisch-Lutherische Kirche besser und nachhaltig in der italienischen Öffentlichkeit präsentieren kann, auch mit dem Ziel Menschen zur Mitarbeit einzuladen. Bei den Prioritäten geht es über den seelsorgerischen Auftrag hinaus um die Stellung und Verantwortung in der Gesellschaft. Große Bedeutung wird dem Thema der Mittelbeschaffung zugemessen. Die ELKI unterliegt den Schwankungen der OPM-Verteilung (jeder italienische Steuerzahler kann acht Promille seines Steuervolumens einer konfessionellen Gruppe zukommen lassen), was für die kleine und nicht mit Mitteln gesegnete ELKI alljährliche eine Herausforderung darstellt. Die Öffentlichkeits- und Internetarbeit schließt sich an alle anderen Thematiken an, darunter fällt auch die Behandlung von Medienpräsenz und Medienwirksamkeit heute. Denn aus der Vernetzung können zielführende Synergien erwachsen.

Die Gäste des Kirchenparlaments der ELKI kommen aus Italien, Deutschland, Österreich, Ungarn und Slowenien und sind während der Workshops der Synodalen zu einer Führung durch einige Strukturen in Rom geladen, die sich der Immigranten annehmen bzw. zeigen, wie Integration funktionieren kann.

Die ELKI hat in den vergangenen Jahren weit über ihre Größe hinaus Einfluss genommen und Engagement gezeigt bezüglich der wichtigen Themen, die die italienische Gesellschaft beschäftigen. Allen voran das Immigrantenproblem. In allen Gemeinden gibt es Projekte zur Unterstützung dieser vor Krieg, Hunger und Gewalt geflüchteten Menschen. Mit dem Hilfsprojekt für die Opfer des Dublin III Abkommens, der Aufnahme und Vermittlung von abgeschobenen Flüchtlingen, hat die ELKI ein deutliches Zeichen gesetzt, was christliche Verantwortung für Protestanten bedeutet. Die ELKI hat sich auch an der Diskussion um das strittige und am 31. Januar 2018 endlich in Kraft getretene Gesetz bezüglich der verbindlichen Patientenverfügung beteiligt.

nd

Der ehemalige Franziskaner Georg Reider wird als Pfarrer ordiniert

Rom, 27/04/2018 – Während des feierlichen Eröffnungsgottesdienstes der XXII. Synode in Rom in der Kirche in Villa Aurelia werden die neugewählten Synodalen verpflichtet. Aber nicht nur. Der Südtiroler Georg Reider wird von Dekan Heiner Bludau als Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche ordiniert. Das Besondere daran ist nicht nur das Alter des neuen Pfarrers, er ist Jahrgang 1955 und italienischer Staatsbürger, während mit Ausnahme von Pastor Paolo Poggioli aus der Gemeinde Torre Annunziata alle Pfarrer der ELKI von der EKD entsandt sind. Georg Reider ist ein ehemaliger Franziskanermönch und katholischen Priester, der am 9. März 2011 nach 33 Jahren aus dem Orden ausgeschieden und aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, um sich zum evangelischen Glauben zu bekennen. Bis 2000 hat der promovierte Theologe als Dozent für Religionsdidaktik und Spiritualität am Höheren Institut für Theologische Bildung in Brixen gelehrt, bis 2001 war er Provinzialoberer der Südtiroler Franziskaner. Nach einer Ausbildung zum psychologischen Berater hat er 1995, damals noch im Kloster Kaltern, das spirituelle Bildungshaus Tau initiiert, das er noch heute leitet. Georg Reider wird auch die Predigt des Eröffnungsgottesdienstes halten.

Nd

„Die Kirche, die ich suchte, gab es schon…“

Ordination des ehemaligen Franziskaners Georg Reider während der XXII Synode der ELKI in Rom

Am 9. März 2011 hat der Franziskanermönch Georg Reider das Priesteramt niedergelegt, ist aus der katholischen Kirche ausgetreten und Mitglied der Evangelisch Lutherischen Kirche in Italien, ELKI, geworden. Ein schwerer Schritt dem viele Jahre des Ringens und Kämpfens vorangegangen sind, Ergebnis eines intensiven, spirituellen Weges. Eine überzeugte Entscheidung, Ausdruck eines tiefen christlichen Glaubens. Sieben Jahre später, am 28. April 2018 wird Reider während des Eröffnungsgottesdienstes der XXII Synode der ELKI in Rom von Dekan, Pastor Heiner Bludau zum Pastor ordiniert.

Georg Reider ist im Sarntal geboren und war für 33 Jahre Mitglied des Franziskanerordens. Er hat Theologie in Brixen und Innsbruck studiert und Religions-Pädagogik an der Päpstlichen Universität der Salesianer in Rom. Bis 2001 war er Provinzialoberer der Südtiroler Franziskaner. Seine Stimme ist ruhig und klar und seine Gesichtszüge sind beherrscht von einem Lächeln, das Ausdruck innerer Gelassenheit und Lebendigkeit ist. Wir haben ihn vor seiner Abreise nach Rom interviewt.

 

Vor sieben Jahren haben sie vier Hauptgründe für ihre Konversion angegeben: das Zölibat, die Diskriminierung der Frau in der Kirche, die Ausgrenzung der getrennt Lebenden und der Geschiedenen sowie die mangelnde Synodalität innerhalb der Kirche.

Georg Reider: Das stimmt, auch wenn ich zugeben muss, dass ich damals vielleicht ein wenig zu polemisch war. Aber das waren tatsächlich meine Hauptgründe. Für das Priesteramt braucht es das Zölibat nicht. Und wer die Geschichte der katholischen Kirche kennt, weiß, dass die Zeit, in der das Zölibat den Priestern freigestellt war, wesentlich länger war, als seit der Einführung des Zölibats vergangen ist.

Es ist für einen Priester ja tatsächlich sehr schwierig, um nicht zu sagen unmöglich, die ihm anvertrauten Menschen zu verstehen, weil er einen wichtigen Teil ihres Lebens nicht nachvollziehen kann, ihre Erfahrungen nicht teilen kann…

Georg Reider: Genau. Außerdem muss sicher ein katholischer Priester sehr viele Dinge verbieten. Er muss einen inneren Stopp entwickeln, über das er nie hinausdarf. Und das tut nicht gut. Abgesehen davon, dass er sehr oft einsam ist

            Sie haben eine Partnerin. Welche Rolle hat das bei ihrer Entscheidung gespielt?

Georg Reider: Das war natürlich auch ein wichtiger Aspekt. Ich hätte das nie verbergen wollen. Ja, ich habe eine Lebensgefährtin, sie stammt aus der ehemaligen DDR, ist Krankenschwester und auch sie hat evangelische Theologie studiert. Sie arbeitet in Berlin in einem Altersheim, als Krankenschwester, aber auch als spirituelle Stütze und Ansprechperson.

           Eine Fernbeziehung ist auch nicht immer sehr einfach…

Georg Reider: Das ist richtig. Die Distanz kann eine Belastung sein, aber sie hat auch ihre Vorteile. Im gewissen Sinn bin ich doch auch noch sehr mönchisch, das heißt, ich brauche meine Zeit, um zu schreiben, zu lesen und allein zu sein. Aber wir reden unwahrscheinlich viel, tauschen uns aus, auch über religiöse und spirituelle Themen und auch wenn wir nicht immer zusammen sind, ist es einfach schön zu wissen, dass es sie gibt.

      Die Rolle der Frau ist in der katholischen Kirche ein sehr umstrittenes und heiß diskutiertes Thema.

Georg Reider: Frauen haben ein ganz besonderes Charisma, einen anderen Ansatz als Männer und deshalb bin ich davon überzeugt, dass es beide, Frauen und Männer, in der Kirche und im Priesteramt braucht. In diesem Zusammenhang kommt mir Erich Fromm in den Sinn, der in seinem Buch „Die Kunst des Liebens“ von einer väterlichen und einer mütterlichen Religiosität spricht. Väterlich, das heißt, es wird das Einhalten von Regeln gefordert, bestimmte Leistungen werden abverlangt. Mütterlich im Sinn von bedingungsloser Annahme, wie es dem Gnaden-Gedanken Luthers entspricht. Ja, und mir scheint, in der katholischen Kirche herrscht mehr der väterliche Typ vor, in der evangelischen der mütterliche. Es ist wirklich schade, besonders in Hinsicht auf diesen Unterschied, dass die katholische Kirche nicht die Kraft der Frauen zu nutzen weiß und ihnen das Priesteramt verwehrt.

Wie kommt man von Franziskus von Assisi zu Luther?

Georg Reider: Sicher, der Charakter der beiden könnte nicht unterschiedlicher sein, aber gerade in dieser Verschiedenheit ergänzen sie sich. Luther war ebenso wie Franziskus ein Mensch von größter Innerlichkeit, ohne seine Spiritualität hätte er nie die Kraft gefunden, das Leben zu führen, dass er gelebt hat. Auf der anderen Seite aber ist er ein Wissenschaftler, ein Gelehrter, während Franziskus aus einer direkten unmittelbaren, ja emotionalen Spiritualität heraus gelebt hat.

Geist und Herz also – und ihnen ist es in gewissem Sinn gelungen, diesen Kreis (für sich) zu schließen?

Georg Reider: In gewisser Weise ja, ich habe beides in meinem Leben vereinen können und darüber bin ich sehr glücklich. Ich habe lange gekämpft, habe lange mit mir gerungen. Ich habe die Veränderung in der katholischen Kirche zu verwirklichen versucht, bis ich eines Tages verstanden habe, dass es die Kirche, die ich suchte, ja schon gibt. Ein Satz von Mahatma Ghandi hat mir die Augen geöffnet: Jeder muss in sich selbst die Veränderungen leben, die er sich von Gesellschaft erwartet. Und bei einer Pressekonferenz im März dieses Jahres hat Bischof Muser zu den jugendlichen Katholiken in Südtirol etwas gesagt, was eigentlich ganz in diese Richtung zielt: „Ihr seid der Schlüssel für die Veränderung, ihr müsst euch bewegen. Seid unbequem und kritisch!“

Der jetzige Papst ist Jesuit, aber er hat den Namen Franziskus gewählt.

Georg Reider: Und wie Franziskus lehrt er mehr durch seine Gesten und sein Verhalten als durch Worte. Und wenn er spricht, dann ist es die Sprache der einfachen Menschen. Er hat die Atmosphäre in der katholischen Kirche verändert. Auch die Öffnung gegenüber den Protestanten während des 500-Jahr-Jubiläums der Reformation wäre vor ihm nicht möglich gewesen.

Sie werden im Rahmen der XXII Synode nicht nur zum Pastor geweiht, sondern sie halten auch die Predigt des Eröffnungsgottesdienstes.

Georg Reider: Eine Entscheidung, die mich sehr überrascht hat. Es ist wirklich eine große Ehre für mich, da mutet der Dekan den Teilnehmern der Synode schon etwas zu…

Vor sieben Jahren haben sie gesagt, dass sie gerne auch Pastor würden, aber dass sie nicht wüssten, ob das je möglich sein werde…

Georg Reider: Das stimmt. Ich trage immer noch die Berufung des Seelsorgers in mir und durch die Ordination zum Pastor wird dies auch von der Kirche anerkannt. Darüber bin ich sehr glücklich!

Sie sind in Pens im Sarntal aufgewachsen. Ihre Familie wird sich schwergetan haben, ihre Entscheidung, aus der Kirche auszutreten, hinzunehmen, zumal in einem Land wie Südtirol, das durch einen sehr ausgeprägten, auch etwas rückständigen Katholizismus geprägt ist. Und außerhalb der Familie, in der Gesellschaft, haben sie sich mit großem Widerstand auseinandersetzen müssen?

Georg Reider: Für meine Familie war es bestimmt nicht leicht, aber sie haben mich nie fallen lassen, sie sind immer zu mir gestanden, auch wenn sie meine Entscheidung nicht nachvollziehen konnten. Und ich bin überglücklich, dass zwanzig Mitglieder meiner Familie aus dem Sarntal zu meiner Ordination nach Rom kommen werden. Auch alle Neffen und Nichten! Was die Reaktion bestimmter Teile der Gesellschaft betrifft, kann ich nur sagen, dass ich nie darunter gelitten habe. Es war meine ganz persönliche Entscheidung und ich habe weder die Verpflichtung, noch fühle ich den Drang mich deswegen rechtfertigen zu müssen. Ich habe nie um Verständnis angesucht und ich bin nicht darauf angewiesen, dass man meine Entscheidung gutheißt oder nicht.

Wie wird ihr Leben als Pastor sein?

Georg Reider: Es wird sich nichts ändern. Ich werde ja nicht zum ordentlichen Pfarrer mit Arbeitsvertrag ordiniert, wie das in der evangelischen Kirche üblich ist. Es ist ein Ehrenamt. Abgesehen vom großen spirituellen Wert, den diese Ordination für mich hat, wird es keinerlei Konsequenzen haben. Ich werde keine Pfarrei übernehmen, es wäre ja auch nicht möglich, weil ich Leiter der Sozial-Genossenschaft Zentrum Tau in Eppan bin. Vielleicht kann ich Vertretungen in Bozen oder Meran übernehmen, oder vielleicht findet sich mit der Zeit ein besonderes Aufgabengebiet, wo ich mich einbringen kann. Das wird sich zeigen. Und dann gibt es noch einen Aspekt, über den ich mich freue: Dass mit mir ein italienischer Staatsbürger zum Pastor der Evangelisch Lutherischen Kirche in Italien ordiniert wird.

 

Nicole Dominique Steiner

Hoffnung – Rom einmal anders

Die Teilnehmer der XXII Synode in Rom beraten in vier Arbeitsgruppen über die Zukunft und die Gäste werden auf eine Sightseeing-Tour der besonderen Art durch Rom geschickt.

Hoffnung

Rom einmal anders: Flüchtlinge kochen bei Gustamundo/ Baobab-Experience Camp

Mustafa aus Syrien hat Hummus zubereitet, Mehmet aus der Türkei mit Käse gefüllte Fillo-Teigrollen, Hühnerfleisch mit Erdnüssen und Couscous Hvar aus Pakistan, Crème Caramel mit Kokusnuss Luz aus Kuba. Gustamundo heißt das Restaurant, in dem 40 – 50 Flüchtlinge aus verschiedenen Strukturen abwechselnd in Rom kochen.

Rom, 29/04/2018 – Am zweiten Tag der XXII Synode wurden die Gäste aus Italien, Deutschland, Ungarn, Slowenien und der Schweiz auf eine Besichtigungstour der anderen Art durch Rom geführt. Auf der Fahrt zum ersten Projekt, dem Flüchtlings Restaurant Gustamundo, stellt Gertrud Wiedmer, Schatzmeisterin der Gemeinde Rom, das Projekt Teddybär vor. Einmal im Monat werden Babytaschen mit Windeln, Kleidern und Spielzeug an afrikanische Mütter mit Kleinkindern verteilt; 60 bis 80 sind es jedes Mal.

Erster Stopp bei Gustamundo also. Ein Teil der Einnahmen kommt Flüchtlingsstrukturen in Rom zu Gute und finanziert einen Italienisch-Kochkurs für Flüchtlinge, mit dem Ziel, einen Catering-Service aufzubauen. Vor sieben Monaten hat Pasquale Compagnoni dieses Projekt zusammen mit Freiwilligen aufgebaut.

Mit am Mittagstisch sitzt Andrea. Er ist einer der Freiwilligen, der das Flüchtlingscamp Baobab-Experience aufgebaut hat. Die zweite Etappe der Refugee-Tour. Auf der Fahrt dorthin erklärt Andrea, der eigentlich Glasrestaurator ist, was die Gäste erwartet.

Ein Camp in der Nähe des Bahnhofs Tiburtina, in dem zur Zeit des Besuchs 220 Menschen leben, 15 – 20 Kinder, 30 Frauen, der Rest sind junge Männer. Untergebracht sind sie in kleinen und großen, gespendeten Zelten und unter Planen, die um diesen großen asphaltierten Platz gruppiert sind, auf dem einige Bäume Schatten spenden. Der Name des Platzes ist Maslax. Ein Opfer des Dublin III Abkommens, der nachdem er nach fünf Jahren endlich in seinem Zielland Belgien bei seiner Schwester angekommen ist, umgehend nach Rom zurückgeschickt worden ist. Maslax hat sich im März 2017 das Leben genommen.

In der Mitte des Camps ein großes Zelt für die gemeinsamen Mahlzeiten. Zwischen 18 und 19 Uhr springt das Diesel-Stromaggregat an, dann können alle ihre Handys aufladen und es gibt zusätzlich zu den Straßenlaternen etwas Licht. Auch im Winter haben dort Flüchtlinge gelebt. Dicke Decken und Schlafsäcke der einzige Schutz gegen die Kälte. Wasser muss von Brunnen geholt werden bzw. wird von Freiwilligen angeliefert. Sanitäre Anlagen gibt es nicht. Viele der Flüchtlinge bleiben nur ein paar Tage, eine Woche, bis sie in eine andere Struktur überwiesen werden können, andere warten Monate darauf, ihre Rechtssituation zu klären.

„Was wir tun, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“ sagt Daniela Barbuscia, die Diakonie-Beauftragte der ELKI, die diese Tour für die Synodengäste organisiert hat. Sie ist maßgeblich in das im Oktober 2017 angelaufene Pilotprojekt für Opfer des Dublin III Abkommens eingebunden, das besagt, dass Flüchtlinge in jenes Land abgeschoben werden, wo sie zum ersten Mal Europa betreten haben, sprich Italien oder Griechenland. Nur dort können sie um Asyl ansuchen. Viele der Bewohner des Camps sind Opfer dieses Abkommens.

„Wir werden von den diakonischen Diensten der Länder, die Flüchtlinge abschieben kontaktiert“, erzählt die Rechtsanwältin. Die Menschen werden in ein Flugzeug nach Rom gesetzt, wo sie ohne Ausweis ankommen, ohne Geld, ohne zu wissen, wohin sich wenden sollen. „Wir holen sie am Flugplatz ab, bringen sie die ersten Tage unter, bis wir einen Platz in einer Flüchtlingsstruktur finden.“ Vor allem aber leistet Daniela Barbuscia den Flüchtlingen Rechtsbeistand.

Bevor Andrea die Gästegruppe der Synode verabschiedet, wirft er schnell einen Blick auf die Facebook-Seite des Camps Baobab, um zu sehen, ob es genügend Meldungen zum Abendessen gibt: 3 kg Reis und 50 hartgekochte Eier, 4 kg. Kartoffeln, 5 kg Pasta und 15 Dosen Bohnen haben verschiedene Freiwillige bisher angekündigt… Noch sind rote Symbole auf der App zu sehen, das heißt, es sind noch nicht die 18 kg erreicht, die es pro Abend braucht. Trockenware wohlgemerkt. Aber es ist ja auch erst 16.30 Uhr…

Wieder zurück im Bus, stellt Fiona Kendall, Rechtsberater im Bund Evangelischer Kirchen in Italien, FCEI, ein weiteres Projekt vor, das von der katholischen Gemeinschaft Sant´Egidio, der FCEI, der waldensischen und der methodistischen Kirche vorangetrieben und mit OPM-Mitteln finanziert wird, den sogenannten „Humanitären Korridor“.

Über 90 % der oft nach mehrjährigem Umherirren in Italien aus Libyen, Syrien, Senegal, Nigeria etc. ankommenden Flüchtlinge sind nachweislich auf ihrer Flucht Misshandlungen und Folter ausgesetzt. Daher die Idee, einen Luftkorridor einzurichten. Gemäß eines Einverständnis-Protokolls mit dem italienischen Außen- und Innenministerium wurden tausend Flüchtlinge aus Syrien über dieses ökumenische Hilfsprogramm mit dem Flugzeug direkt über den Libanon nach Italien eingeflogen, wo sie auf Hilfsstrukturen verteilt wurden. Nun wurde beschlossen bis Ende 2019 weiteren tausend Flüchtlingen diese Möglichkeit zu geben. Ein weiterer Tropfen auf den heißen Stein… einer von vielen!

Nicole Dominique Steiner

ELKI Synode stellt Weichen für die Zukunft – Arbeitsgruppen

„Quo vadis – 501 – Was wir wollen“, ist das Motto der XXII Synode der Evangelisch Lutherischen Kirche in Italien, die vom 28. April bis 1. Mai in Rom stattfindet. Ein Jahr nachdem die Scheinwerfer des 500 Jahr Jubiläums der Reformation erloschen sind, fragt sich die kleine Kirche, wie es denn in Zukunft weitergehen soll. Profil, Prioritäten, Mittelbeschaffung, Internet- und Öffentlichkeitsarbeit waren die zukunftsweisenden Themen der vier Gruppen, die am zweiten Tag der XXII Synode der Evangelisch Lutherischen Kirche in Italien die Arbeiten der Synodalen und des Konsistoriums maßgeblich bestimmt haben.

Rom, 30. April 2018 – Grundidee war, kleine Gruppen von maximal 15 Teilnehmern zusammenzustellen, um eine intensivere Auseinandersetzung mit den einzelnen Themen zu ermöglichen. Jede Gruppe hatte den Auftrag, im Anschluss ihre Ergebnisse in wenigen Zeilen zusammenzufassen und in wenigen Minuten dem Plenum vorzustellen.

Vor und nach den Workshops befasste sich die Synode mit der Diskussion verschiedener Beschlussanträge. Von besonderer Bedeutung und entsprechend emotionsgeladen und kontrovers diskutiert war die Zukunft der Schule in Santa Maria la Bruna im Golf von Neapel. Der Beschlussantrag, die Führung der Schule an die Vereinigung Padre Pio zu übergeben, wurde angenommen.

Nachstehend die Ergebnisse der Arbeitsgruppen:

Gruppe 1 – Profil: Wie definieren wir uns als evangelisch lutherische Christen?

  • Wir glauben, teilen und verkünden unseren Glauben an Jesus wie es im Evangelium bezeugt ist, weil wir aus ihm leben.
  • Wir sind sensibel für die Verschiedenheit, freundlich, kulturell aufnahmebereit und offen und wir fühlen uns trotz unserer Fehler angenommen.
  • Wir leben eine freiheitliche und zugleich verantwortliche Ethik, die eine ökumenische und religiöse Öffnung einschließt.
  • Uns zeichnet der Grundgedanke des Priestertums aller Gläubigen aus und dass jeder in einer unmittelbaren Beziehung zu Gott steht.

Gruppe 2 – Prioritäten: Wie geht es nach dem Reformationsjahr 2017 weiter?

  • Keine Maßnahmen ohne Ziele
  • Ressourcen verantwortlich verwalten
  • Ökumene suchen und leben
  • Offenheit für Menschen in besonderen Lebenssituationen
  • Insgesamt weniger Aktivitäten (Reisen, Camps, Workshops), dafür aber Gemeinde-übergreifend und flexibel, allen Gemeinden geöffnet (z. B. Musikworkshop Rom)
  • Evangelisationsprojekte nur in Zusammenarbeit von Konsistorium und Gemeinde vor Ort

Gruppe 3 – Mittelbeschaffung: Was tun in einer Zeit, in der OPM keine Garantie mehr ist?

  • Fundraising muss Spaß machen und braucht starke, authentische Personen
  • Entwicklung einer coolen Idee und dann eines Konzepts
  • Durchführung: Profis und Prominente ansprechen, einfacher Zahlungsweg (Paypal, SMS)
  • Transparenz, Kontaktpflege mit den Spendern

Gruppe 4 – Internet- und Öffentlichkeitsarbeit:

  • Bessere Vernetzung der Kommunikation innerhalb der Gemeinden (auf persönliche Art, durch E-Mail, Briefe, fb, Instagram etc.)
  • Für die Social Media in den Gemeinden sensibilisieren, jede Gemeinde beruft einen Zuständigen.
  • Verbesserung der Corporate Identity der ELKI und der einzelnen Gemeinden.
  • Verantwortung hinsichtlich der Privacy (Fortbildung, Verantwortlichen benennen)

nd