Die 4. Sitzung der XXII. Synode der ELKI: Glauben und Handeln – Fede e Futuro

Die 4. Sitzung der XXII. Synode der ELKI in Rom, 25. – 28. April 2019

Dekan Heiner Bludau: Agenda 2030 und Verantwortung der Kirche in der Gesellschaft

Agenda 2030, der Zustand der Welt, die Frage „Wie geht es überhaupt weiter“, die Verantwortung der Kirche, einer kleinen Kirche in der Gesellschaft – das sind einige der Themen, auf die sich der Dekan der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Heiner Bludau auf der kommenden 4. Sitzung der XXII. Synode in Rom Impulse und Antworten erhofft.

Es wird bei der Synode 2019 vor allem um einen Blick nach vorne gehen, betont Heiner Bludau. Auch wenn das 70jährige Bestehen der ELKI sich wie ein roter Faden durch das Programm der Synode zieht, sollen es nicht mehr als nur kurze Rückblicke sein, Nostalgie darf keinesfalls von den Herausforderungen der Zukunft ablenken.

Der Blick nach vorne, einerseits besorgt, andererseits getragen von Gottvertrauen, bezieht sich nicht nur auf die Evangelisch-Lutherische Kirche und ihre Zukunft, auch wenn dies sicher auch auf einer Synode zur Debatte steht. Es braucht einen weiten Blickwinkel angesichts des Zustands der Welt, angesichts der Globalisierung, die aus der Welt zwar nicht ein Dorf aber doch etwas gemacht hat, was uns alle betrifft. In der Agenda 2030 sieht Dekan Heiner Bludau einen thematischen Leitfaden auch für die ELKI. Kampf gegen Hunger, Armut und soziale Ungerechtigkeit, Maßnahmen gegen den Klimawandel und damit Verantwortung für die Schöpfung, die Förderung friedlicher und inklusiver Gesellschaften, der verantwortliche Umgang mit Wasser und anderen Ressourcen, die Geschlechtergleichheit, hochwertige Bildung, Gesundheit und Wohlergehen – 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, die der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Dimension in ausgewogener Weise Rechnung tragen. Glauben und Handeln – Fede e Futuro, so Dekan Bludau, das heißt für mich in erster Linie, „Was können wir tun?“. Als Christen und als Bürger.

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Peter Pavlovic, Studiensekretär KEK: die größte Herausforderung – auch an den Glauben

Peter Pavlovic ist Studiensekretär der Konferenz der Europäischen Kirchen mit Sitz in Brüssel. Zu seinen AufgabenPeter Pavlovicgehört die Förderung des Dialogs zwischen den Kirchen in Europa, der Dialog mit Politik und Gesellschaft. Seine Hauptthemen sind Umweltgerechtigkeit, Klimaschutz und eine nachhaltige Zukunft. Er wird gemeinsam mit Prof. Lothar Vogel von der Waldensischen Fakultät für Theologie und mit Cordelia Vitiello, gesetzliche Vertreterin der ELKI und Ratsmitglied des LWB an einer Podiumsdiskussion zum Thema der Synode, „Glauben und Handeln – Fede e Futuro“, teilnehmen.

Die ELKI ist eine kleine Kirche mit wenigen tausend Mitgliedern. Dennoch stellt sie sich der Verantwortung, die das Thema der Synode mit sich bringt. Was kann sie Ihrer Ansicht nach bewirken?

Peter Pavlovic: Die Größe spielt in christlichen Themen, und das Thema der Synode ist ein christliches Thema, keine Rolle. Der Hauptpunkt ist, wie ernst ist es mir damit und wie groß ist mein Glaube! Klima und eine nachhaltige Zukunft das ist die größte Herausforderung dieses 21. Jahrhunderts. Und nicht nur Klima per se, das sind Überlegungen für die gesamte Zukunft. Das ist eine große Herausforderung für uns alle als Christen und als Bürger unserer Länder, als Bürger Europas und als Bürger der Welt!

Ein Thema, das Einigkeit voraussetzen würde. Die aber nicht gegeben ist. Die derzeitige politische Situation lässt in dieser Hinsicht wenig Hoffnung…

Peter Pavlovic: Das stimmt. Die einzelnen Länder, Europa definieren sich nicht über dieses Thema. Es fehlen große und gemeinsam getragene Entscheidungen. Was es braucht, ist ein grundsätzlicher Wechsel des Verständnisses von Welt. Die Welt nicht länger als Ressource betrachten, die uns wie ein Selbstbedienungsladen zur Verfügung steht. Wir müssen von Konsumenten, von Benutzern zu Verantwortungsträgern werden. Und es ist auch Aufgabe der Christen dieses Thema in den Vordergrund zu stellen.

Sie meinen, auch die Christen sind aufgerufen zu einer Veränderung der Politik beizutragen?

Peter Pavlovic: Das ist eine Frage des Glaubens, was wir darunter verstehen. Was ist Glaube in dieser alles andere als „freundlichen“ Welt? Wir müssen lernen, die Bibel neu zu lesen vor dem Hintergrund dieser großen Herausforderung, die die Synode sich auch in ihrem Thema zu eigen macht. Glauben und Handeln – Fede e Futuro. Wie sollen wir Christen in dieser Welt leben? Antworten darauf können wir zum Beispiel in den Briefen des Apostels Paulus an die großen Städte der säkularisierten Welt, an Rom, an Korinth, an Thessaloniki finden.

Wie sind Sie persönlich zur Zukunft eingestellt?

Peter Pavlovic: Ich denke wir haben eine Chance. Wenn wir den Glauben haben.

 

nd. Foto von julien Roudier da Pixabay

Wolfgang Prader, Vize-Präsident der Synode: „Ein kleiner Leuchtturm in der Finsternis“

Wolfgang Prader, Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Bozen ist Vize-Präsident der Synode und als solche hat er das Programm der 4. Sitzung vom 25. Bis 28. April 2019 maßgeblich mitgestaltet.

Was verbinden Sie persönlich mit der Synode?

Wolfgang Prader: Für mich sind in diesem Jahr sehr stark die beiden Gedanken verbunden: 70 Jahre ELKI und Glauben und Handeln. Unsere siebzigjährige Geschichte ist für mich ein Auftrag. Nun geht es darum, wie wir die kommenden Jahre bestehen. Eine Herausforderung für mich ist auch unsere Identität, einerseits die deutschen Wurzeln, andererseits sind wir aber eine italienische Kirche und diese italienische Identität muss wachsen.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

Wolfgang Prader: Ich sehe Handlungsbedarf weniger nach innen als vielmehr nach außen. Positionen einnehmen zu aktuellen Themen. Wir sind zwar eine kleine Kirche und ohne großen Einfluss, zumal in einem Land wie Italien, aber wir müssen uns sichtbar machen und tun das ja auch. Durch unsere vielfältigen diakonischen Projekte. Und damit meine ich nicht nur jene für Flüchtlinge, die natürlich sehr wichtig sind, aber wir haben auch viele andere für Bedürftige aus ganz unterschiedlichen Bevölkerungsschichten.

Haben Sie persönlich ein Leitbild für dieses Engagement?

Wolfgang Prader: Ein Leitbild ist sicher die Agenda 2030 mit ihren großen Themen. Themen wie Klimawandel, Kampf gegen Armut. Aber auch die Jugend, die sich engagiert und die auch uns „Große“ zu verantwortungsvollem Handeln aufruft.

Welche Rolle sehen Sie in all dem für die ELKI?

Wolfgang Prader: Die ELKI ist für mich eine Art kleiner Leuchtturm in der Finsternis. Eine Laterne in der Nacht. Eine Orientierung. Wir können eine Vorreiterrolle einnehmen durch unser Engagement.

Die Synode 2019 ist ihre vierte Synode…

Wolfgang Prader: Genau. Und ich freue mich wieder auf die Begegnungen, auf den Austausch mit den Synodalen. Auf dieses konkrete „Kirche leben“. Für mich ist die Synode etwas Lebendiges. Ein Ort, wo alles seinen Platz hat: konkrete Schwierigkeiten auf lokaler Ebene und das gemeinsame Lösung-Finden im Austausch. Aber auch weit über unsere Kirche hinaus: Auch dieses Jahr haben wir wieder kleine Arbeitsgruppen und dort erwarte ich mir, dass nicht nur Ideen geboren und festgehalten werden, sondern dass konkretes Handeln in Gang gesetzt wird und Projekte konkret umgesetzt werden.

nd

Prof. Vogel: Glaube und Handeln

Prof. Lothar Vogel lehrt Geschichte des Christentums an der Theologischen Fakultät der Waldenser in Rom. Zusammen mit Peter Pavlovic, Studiensekretär der Konferenz Europäischer Kirchen, KEK, und Cordelia Vitiello, gesetzliche Vertreterin der ELKI und Rats-Mitglied des Lutherischen Weltbundes, wird er am 26. April um 11.30 Uhr an einer Podiumsdiskussion zum Thema der Synode, „Glauben und Handeln – Fede e Futuro“ teilnehmen. Nachstehend ein paar Gedanken Vogels zum Thema Glauben und Handeln:

„Im Jahre 1520 veröffentlichte Martin Luther den Traktat Von der Freiheit eines Christenmenschen, in dem er zum Verhältnis von Glauben und Handeln Stellung bezog. Der erste Teil dieser Schrift erläutert die Freiheit des „inneren Menschen“ bzw. der „Seele“: sie steht in einem unmittelbaren Verhältnis zu Gott, der sie rechtfertigt, und kein irdisches Tun, und sei es rituell-religiöser Art, kann in diese Beziehung eingreifen. Anschließend jedoch kommt Luther auf den „äußeren Menschen“ und die „Knechtschaft“ zu sprechen, in der er sich befindet. Im Grunde handelt es sich dabei um eine Auslegung des Römerbrief-Wortes: „Ich ermahne euch nun, Brüder und Schwestern, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst“ (Römer 12,1). Vom „Christenmenschen“ sagt Luther daher: „so bleibt er doch noch in diesem leiblichen Leben auf Erden und muss seinen eigenen Leib regieren und mit Leuten umgehen. Hier fangen nun die Werke an“ (WA 7, S. 30).

Christliches Handeln ist also strikt leiblicher Natur. Dies bedeutet zuerst, dass dieses Handeln „weltlich“ ist und sich als „vernünftiger Gottesdienst“ (wie sich Paulus ausdrückt) gerade nicht durch religiöse Konnotationen auszeichnet. Christenmenschen sind berufen, in dieser Welt zu handeln, wie alle anderen Menschen auch, ohne sich ihnen moralisch überlegen zu fühlen, gemeinsam mit ihnen und in Respekt ihnen gegenüber. Inhaltlich unterscheidet Luther zwei Dimensionen: die eine ist auf den Handelnden selbst, die andere auf die „Leute“, d.h. den/die Nächste(n) bezogen. Was die erste Dimension betrifft, so spricht Luther anschließend von Selbstkontrolle und Askese. Der Christenmensch soll also die Begrenztheit anerkennen, die der leiblichen Existenz auferlegt und deren beängstigender Charakter in jener Freiheit aufgehoben ist, von der der erste Teil des Traktates spricht. Eben deshalb ist er/sie auch in der Lage, den/die Nächste(n) in seiner/ihrer Leiblichkeit wahrzunehmen, als Seinesgleichen mit ebenbürtigen Bedürfnissen und Fähigkeiten anzuerkennen, von wo er/sie auch kommt, und ihn/sie zu „lieben“, d.h. seine/ihre Existenz unbedingt anzuerkennen.  All dies erfordert auch, dass der Christenmensch dabei im Auge hält, wie gerade die Leiblichkeit ihn/sie in die geschöpfliche Welt hineinstellt: als Leib lebt der Mensch auf Dauer nur dann gut, wenn dasselbe auch für seine Um-Welt gilt.

Im Grunde fasst Luther hier eine Überwindung jener Spannung ins Auge, die nach Thomas Hobbes zwischen den Maximen homo homini lupus („einer ist dem anderen Wolf“) und homo homini lepus („einer ist dem anderen Hase“, d.h. hat Angst vor ihm) besteht und die Menschen dazu verführt, in zerstörerischer Weise Macht und Ressourcen, auch religiöser Art, auf sich zu konzentrieren. Vor 100 Jahren hat der reformierte Pfarrer Karl Barth in seinem Kommentar Der Römerbrief die Auslegung von Römer 12 ebenfalls auf die Leiblichkeit menschlicher Existenz hervorgehoben und den von Paulus geforderten „Gottesdienst“ von gängiger religiöser Praxis unterschieden (Nachdruck EVZ, Zürich 1963, S. 350). So bleibt auch uns die Aufgabe, die Leiblichkeit unserer Existenz und die Weltlichkeit dessen, was uns im Glauben auferlegt ist, im Blick zu behalten.“

Prof. Lothar Vogel. Foto: Lukas Chranach d. Ä “Sündenfall und Erlösung”

Synodalpräsident Schedereit: ELKI ist brückenbauend und völkerverbindend

Die Übereinstimmung von Glauben und Handeln, das ist für Synodalpräsident Georg Schedereit die zukunftsweisende evangelisch-lutherische Verpflichtung. Von der 70-Jahr-Synode der ELKI erwartet er sich neben Entscheidungen und Diskussionen mit Gästen wieder einen fruchtbaren Austausch konkreter Anregungen unter den 55 Synodalen (32 Frauen); 14 Synodale sind ordiniert, davon sechs Pfarrerinnen.

Zusammen vertreten sie die 15 evangelisch-lutherischen Gemeinden Italiens im Kirchenparlament, dem obersten Organ der Kirchenleitung. Wie auf der Synode, so sind die nicht-ordinierten Synodalen auch im gewählten Exekutivorgan immer in der Mehrheit: im fünfköpfigen Konsistorium, mit dem Dekan als leitendem Geistlichen und Oberhaupt der ELKI, der die Kirche auch nach außen vertritt.

Was sind aus Ihrer Sicht die besonderen Kennzeichen dieser kleinen Kirche im Vergleich zu anderen?

Georg Schedereit: Keine andere Kirche Italiens ist so demokratisch und dezentral verfasst. Sie ist auch die einzige Kirche Italiens, die dem Lutherischen Weltbund angeschlossen ist. Zu unseren besonderen Kennzeichen gehört auch das, was ich bei der Synode 2018 als „unsere Beheimatung in bi-lingualer und bi-kultureller Bildung“ bezeichnet habe. Diese befähigt uns zum grenzüberschreitenden Brückenbauen zwischen unserem italienischen Umfeld und dem deutschsprachigen Raum. Die ELKI und ihre Gemeinden tragen ihr Scherflein dazu bei, dass sich mediterrane und nördliche Christenfamilien besser verstehen.

Neben Demokratie und Doppelsprachigkeit ein Wort zur Diaspora-Situation. Empfinden Sie diese als Defizit?

Georg Schedereit: Keinesfalls. Im Gegenteil. Wir leben eine doppelte Minderheitensituation und das ist kein Defizit, sondern eine sinnstiftende Chance: Unsere Doppelsprachigkeit und Verwurzelung in unterschiedlichen Bekenntnisräumen. Gleichzeitig sind wir eine italienische Kirche, sind wir Europäer. Das ist völkerverbindend. Nicht zuletzt haben wir das ja auch ganz bewusst im zweisprachigen Motto unter dem unsere Synode steht, zum Ausdruck gebracht: Glaube und Handeln – Fede e Futuro.

Die ELKI ist überaus aktiv in der Diakonie, in der Flüchtlingshilfe, mit kulturellen Projekten, Projekten für Bedürftige, aber sie ist natürlich auch eine kleine Kirche, mit begrenzten Mitteln…

Georg Schedereit: Den diakonischen Auftrag sehe ich als Teil des Priestertums aller Gläubigen. In gewisser Hinsicht mögen das nur Tropfen auf den heißen Stein sein. All diesem Tun liegt eine Wahl zugrunde: wo setze ich mich ein, für wen und wie? Das quält auch. Wir Lutheraner machen es uns nicht leicht, mit der Freiheit eines Christenmenschen, weil wir uns den Herausforderungen der Gegenwart stellen, auch oder besser gerade als Kirche! Da spielen Gottvertrauen, Gebet, Gemeinnützigkeit unseres Tuns eine große Rolle. In gewisser Hinsicht auch das auf dem Glauben aufbauende Vertrauen in die Zukunft. Es ist nicht leicht heute Vertrauen zu haben, in einer Welt, in der nationalistische und populistische Demagogen ärgste Befürchtungen wecken, eingedenk vielfältigen Versagens in den Zwanziger und Dreißiger Jahren. Aber indem ich mich als Kirche, als gläubiger Mensch öffne und engagiere und auch durch mein Handeln Protest ausdrücke, lebe und nähre ich Vertrauen, dass wir uns „von guten Mächten wunderbar geborgen“ fühlen dürfen.

Im Rahmen der Synode wird auch ein Jubiläum begangen: 70 Jahre ELKI

Georg Schedereit: Vor 70 Jahren verabschiedete die Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien die Verfassung der ELKI. Das war der Grundstein zu dem, was wir heute sind. Das sind 70 Jahre dichtester europäischer Geschichte. Und wir, die ELKI, ist ihren Weg darin gegangen, hat Spuren hinterlassen und ist gezeichnet von diesen 70 Jahren.

Das Motto der Synode, Glaube und Handeln – Fede e Futuro, nimmt in die Pflicht…

Georg Schedereit: Genau. Uns als Kirche und jeden Einzelnen von uns als Christen. Wie man auf Italienisch so schön sagt: predicare bene e razzolare male – schön reden und keine Taten folgen lassen. Nein! Hier sind wir gefordert. Auch Jesus ist nicht durch Anpassung an den Mainstream aufgefallen. Ich sage nicht, dass das leicht ist!

Sie haben mit Peter Pavlovic von der Konferenz der Europäischen Kirchen und Lothar Vogel, Professor für Geschichte des Christentums, zwei kritische Denker zur Synode eingeladen.

Georg Schedereit: Ich erwarte mir sehr viele Impulse von der Podiumsdiskussion am zweiten Tag der Synode, an der ja auch unsere gesetzliche Vertreterin Cordelia Vitiello teilnimmt, die als Ratsmitglied des Lutherischen Weltbundes sicher Interessantes zu berichten weiß. Pavlovic und Vogel sind kritische protestantische Geister. Von ihnen erhoffe ich mir z. B. Anregungen zur Auslegung Luthers: Einerseits sagt er, es kommt nicht auf die „Werke“ an, andererseits fordert er den Christenmenschen sehr wohl zum Handeln auf. In dieselbe Richtung zielte ja auch der Reformator Ulrich Zwingli vor 500 Jahren in Zürich: „Christsein heißt nicht nur reden von Christus, sondern wandeln wie er gewandelt ist.“ Oder nehmen wir den reformierten Theologen Karl Barth. Er sagte, der Weg zur Freude führe durch das Leid, nicht am Leid vorbei. Das ist, was ich unter Glauben und Handeln verstehe. Die Übereinstimmung von Glauben und Handeln ist für mich als Synodalpräsidenten auch in Italien DER Maßstab für die Glaubwürdigkeit jeder Kirche – und für jeden einzelnen.

 

nd

Ingrid Pfrommer, Schatzmeisterin: „Wir dürfen uns nicht abhängig machen von 8xMille“

Ingrid Pfrommer, Synodale der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Turin ist seit drei Jahren Schatzmeisterin der ELKI. Kein leichtes Unterfangen und eine große Verantwortung in Zeiten der Wirtschaftskrise und der politischen Krisen, die viele Menschen, nicht nur Flüchtlinge, ihrer elementarsten Bedürfnisse berauben.

Was bedeutet die Synode für Sie?

Ingrid Pfrommer: Für mich ist die Synode ein wichtiger Moment andere Synodale und Pastoren zu treffen. Mit vielen trifft man sich ja nur einmal im Jahr. Für mich ist das eine wichtige Gelegenheit, um zu hören, welche(finanziellen) Bedürfnisse die Gemeinden haben, um mich mit den anderen Schatzmeistern auszutauschen. Gemeinden sind nicht nur Finanzen, sie sind gemacht aus Menschen. Die Synode ist für mich ein Moment der Gemeinschaft und um zusammen Gottes Wort zu hören und leben.

Was sagt Ihnen persönlich das Thema der Synode, Glauben und Handeln – Fede e Futuro?

Ingrid Pfrommer: Finanzen sind wichtig, aber das darf in unserer Kirche nicht am ersten Platz stehen. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung mit dem Thema der diesjährigen Synode. Es geht um die Zukunft, in die auch wir als Kirche uns einbringen wollen, sollen und müssen. Zukunft besteht für mich aus Orten, aus Menschen und aus Beziehungen. Um Zukunft in dieser Zeit zu ermöglichen, müssen wir teilen, geben, aufnehmen, Hilfe leisten. Und das können wir über unsere Diakonieprojekte. Ich denke dabei nicht nur an Flüchtlinge. Unsere finanzielle Unterstützung muss allen Menschen zugutekommen.

Stichwort 8xMille…

Ingrid Pfrommer: Ja, das ist immer eine variable Situation. Einmal viel 8xMille, einmal wenig 8xMille. Da müssen wir Flexibilität zeigen und uns nach der Decke strecken. Wir dürfen uns davon nicht abhängig machen! Warum es in einem Jahr viele Unterschiften zu unseren Gunsten sind und im nächsten Jahr weniger, das liegt an ganz unterschiedlichen Gründen, und ich denke, wir werden nie 100% und mit Sicherheit wissen, warum das so ist, bzw. woran es liegt. Wir sollten so wirtschaften, dass wir nicht zu stark von diesen Steuerfonds abhängig sind. Das ist doch eigentlich ganz einfach: Wenn viel Geld da ist, kann ich große Projekte in Angriff nehmen, wenn wenig da ist, muss ich dementsprechend zurückschrauben und eben mit weniger auskommen. Ich halte es wie eine Hausfrau, die verantwortlich wirtschaften kann und muss. Wir sollten Gottvertrauen haben und unbeirrt unseren Weg weitergehen. Wir sind eine kleine Kirche und sollten auch dementsprechend unsere Projekte wählen, entwickeln und durchführen.

Was verbinden Sie mit Zukunft?

Ingrid Pfrommer: Ich denke gerne an die Zukunft; bin zuversichtlich und gehe ihr positiv entgegen. Wir müssen bewusst in die Zukunft gehen und schauen und dabei an jene denken, die nach uns kommen, an unsere Kinder, an alle jungen Menschen, die heute auf die Straßen gehen um für ihre Zukunft zu kämpfen. Sie sollen eine wunderbar geschaffene Welt erleben können, wie auch ich es tat. Sie wurde uns anvertraut und es ist unsere Pflicht, sie genauso weiterzugeben und zu hinterlassen wie wir sie vorgefunden haben.

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Cordelia Vitiello, gesetzliche Vertreterin der ELKI: Glauben durch Solidarität leben

Cordelia Vitiello ist die gesetzliche Vertreterin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien, Ratsmitglied des Luther Weltbundes und Präsidentin der Stiftung Bethanien, Träger des Evangelischen Krankenhauses in Neapel.  

Während der Synode wird sie während einer Podiumsdiskussion das Thema Glauben und Handeln zusammen mit Peter Pavlovic, Studiensekretär der Konferenz Europäischer Kirchen und mit Lothar Vogel, Professor für Geschichte des Christentums an der Theologischen Fakultät der Waldenser in Rom erörtern.

Glaube und Handeln – Glaube und Zukunft, was bedeutet das für Sie?

Cordelia Vitiello: Glauben und Handeln sind für mich zwei Konzepte, die eng mit Zukunft verbunden sind. Zukunft, das heißt heute für viele vor allem Ungewissheit. Die Globalisierung, der Klimawandel, die fortschreitende Technologisierung, die Wirtschaftskrise – all das macht den Menschen Angst. Das Ergebnis ist ein tiefgreifender politischer Wandel, eine unerwartete Rückkehr der Rechten, von populistischen und nationalistischen Bewegungen, die Angst vor dem Fremden und zunehmender Rassismus.

Ein kritischer historischer Augenblick…

Cordelia Vitiello: …aber auch interessant, weil soziale Schemata und Kategorien, die für selbstverständlich galten, plötzlich in Frage gestellt sind. Das Problem ist, dass viele ihre Bezugspunkte verloren haben, die Konsequenz sind ein Klima der Angst, ein allgemeiner Vertrauensverlust und dadurch ein zunehmendes Zurückziehen und Konzentrieren auf sich selbst. Damit einher geht ein Verlust der Solidarität. Und genau hier sind wir als Kirche zum Handeln gefordert, müssen uns als jene, die helfen zu erkennen geben. Genau hier muss die Kirche Position beziehen und Beispiel geben.

Auch die Kirchen sind in Krise. Die Zahlen sprechen für sich: die Katholische Kirche in Italien hat 160.000 Gläubige verloren, die Evangelische Kirche in Deutschland 200.000.

Cordelia Vitiello: Das stimmt und gerade deshalb müssen wir wieder unsere Rolle einnehmen. Und zwar zusammen mit den anderen Glaubensgemeinschaften, zusammen mit den anderen evangelischen Kirchen. Unsere Theologie muss durch unsere diakonischen Werke zu den Menschen sprechen, durch das Handeln für den anderen. Die Kirche muss Ausdruck der “Guten Politik” werden, ihre Aufgabe ist es, anderen zu helfen, den Schwachen beizustehen und um das zu tun, muss sie auch den Dialog zur regierenden Politik suchen.

Und wie fängt sie das an?

Cordelia Vitiello: Das sind unsere Aufgaben: durch das Wort Gottes müssen wir die Gerechtigkeit, den Frieden, die Freiheit, die Versöhnung, das Mitleiden, die Diversität und die Würde verteidigen und weitertragen. Und um das zu verwirklichen, müssen wir uns die neuen Medien zunutze machen, wir müssen den Glauben in der Welt (vor)leben, mit allen Erneuerungen Schritt halten, ohne darüber unsere Botschaft zu verlieren.

 

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Franziska Müller, Vize-Dekanin: Wir sind als Kirche mittendrin

Franziska Müller betreut gemeinsam mit ihrem Mann Friedemann Glaser als Pastorin die ELKI-Gemeinde Florenz. Auf der Synode 2018 wurde sie zur Vize-Dekanin gewählt und ist damit Teil des fünfköpfigen Konsistoriums

Sie haben als Mitglied des Konsistoriums das Synoden-Thema gemeinsam beraten.

Franziska Müller: Wir haben sehr lange gerungen um das Thema, auch um die Entscheidung, es nicht bei einer einfachen Übersetzung zu belassen, sondern bewusst einen anderen italienischen Titel zu wählen.

Glauben und Handeln – Fede e Futuro. Dahinter stehen also auch unterschiedliche Denkansätze?

Franziska Müller: Ja, und zwar ganz bewusst. Glauben und Handeln, das ist ein ganz elementares Miteinander. Glauben ohne Handeln wird für mich zu etwas Egozentrischem, Unvollkommenen. Handeln fragt nach dem Sinn und dem Ziel: Ich muss etwas haben, was mich antreibt. Und es ist gut, wenn ich mir selbst und anderen Auskunft geben kann, warum ich dies und nichts anderes tue.

Glauben kann in dieser Beziehung auch sehr weit interpretiert werden oder beziehen Sie sich damit auf den christlichen bzw. evangelischen Glauben?

Franziska Müller: Ja, jeder Mensch, der handelt, glaubt, davon bin ich überzeugt. Doch oft machen wir Menschen uns dies gar nicht bewusst – und sind deshalb von unbewussten Impulsen verführbar: Bequemlichkeit, Angst, Ansehen etc. Als evangelisch-lutherische Synodale haben wir eine gemeinsame Glaubensbasis. Ich freue mich darauf, bei der Synode darüber ins Gespräch zu kommen, welche Überzeugungen uns einen – und was das für unser Handeln als ELKI in Zukunft bedeutet.

Und Fede e Futuro, Glauben und Zukunft?

Franziska Müller: Fede e Futuro, damit wird deutlich: wir wollen am 70. Geburtstag der ELKI nicht vorrangig zurückschauen auf das, was war, sondern fragen: „Was wird aus uns?“ Oder, wie unser Dekan Heiner Bludau es in der Vorbereitung prägnant formuliert hat, „Was müssen wir tun, damit die ELKI auch ihren 100. Geburtstag feiern kann?“. Diese Formulierung fasziniert mich – weil in ihr zweierlei deutlich wird: Die Frage nach der Relevanz dessen, wofür wir als Lutheraner stehen, für die kommenden Jahre und Jahrzehnte hier in unserer ‚kleinen Welt‘, einerseits, und die Verantwortung für die Zukunft der ganzen Welt andererseits. Wobei wir wieder beim deutschen Titel wären ‚Glaube und Handeln‘.

In welche Richtung zielt dieses Handeln oder besser gefragt: Welches ist für Sie ein besonders wichtiger Aspekt des Handelns?

Franziska Müller: Unser Handeln wird sich auch künftig in viele Richtungen bewegen, als Kirche leben wir in unserer Zeit, engagieren uns in allen Bereichen, die anstehen. Es ist eine vorrangige Aufgabe der Synode, gemeinsam darum zu ringen, welche der vielen möglichen Handlungsfelder wir auswählen, um uns dort gemeinsam zu betätigen. Im Vorfeld der Synode haben wir uns mehrfach mit der Agenda 2030 auseinandergesetzt. Noch vor dem Beginn der Freitagsdemonstrationen haben wir uns überlegt, ob wir uns als Kirche in diesem Bereich vermehrt engagieren müssen (Klimaschutz, Anm.d.Red.). Nun erleben wir: Wir sind mit dieser Fragestellung mittendrin in dem, was die Jugend, was viele Menschen heute bewegt. Wir bewegen uns zusammen, auf der Basis unseres Glaubens, um der Zukunft willen.

 

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Renate Zwick, Nationalreferentin Frauennetzwerk: Es heißt, wachsam bleiben

Seit vergangenem Oktober ist sie die Nationalreferentin des Frauennetzwerks der ELKI und als solche nimmt sie nun zum ersten Mal an einer Synode teil. Renate Zwick lebt in Palermo und ist Mitglied der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Sizilien

 Vom 25. – 28. April werden Sie an Ihrer ersten Synode teilnehmen. Aufgeregt?

Renate Zwick: Ich bin gespannt wie es funktioniert, wieviel Freiraum es gibt für Entscheidungs- und Meinungsbildung, wie intensiv Themen bearbeitet werden können, um Motivation zum Handeln freizusetzen.

Womit Sie schon das Thema der Synode ansprechen, Glauben und Handeln – Fede e Futuro. Was verbinden Sie damit?

Renate Zwick: Glauben und Handeln sind für mich untrennbar miteinander verbunden. Mein Glauben wird doch erst durch mein Handeln glaubwürdig! Ich persönlich bin eine immer Suchende. „Woran glaube ich eigentlich?“, das ist für mich eine ständig präsente Frage. Das Handeln hilft mir, Zweifel zu zerstreuen. Das ist wie ein Kreislauf. Ich handle, weil ich glaube und mein Glauben wird durch mein Handeln konkret, durch die Erfahrung von Solidarität, von Verzicht, von tiefem Verständnis in einer Begegnung, durch Grenzerfahrungen, die mich letztendlich auf meinen Glauben zurückwerfen.

Und wo sehen Sie konkrete Ansatzpunkte für das Handeln?

Renate Zwick: Das fängt für mich schon an, wenn es darum geht, Mut zu zeigen, seinen Glauben zu vertreten und sich damit auch gegen den Mainstream zu stellen. Mut, offen einzutreten für unsere Werte einer inklusiven Gesellschaft, die Menschen und ihre Umwelt schützt.

Haben Sie ein besonderes Anliegen als Vertreterin des Frauennetzwerkes?

Renate Zwick: Mir, oder besser uns vom Frauennetzwerk, liegt die Geschlechtergerechtigkeit auf der Welt sehr am Herzen, sie ist eine Voraussetzung für bessere Lebensbedingungen für alle. Es kann nicht angehen, dass die Hälfte der Menschheit so einfach beiseite gedrückt wird. In der evangelischen Kirche in Italien sind wir gut vertreten. In Europa sind Frauen vielleicht weniger Benachteiligungen ausgesetzt als in vielen anderen Ländern auf der Welt. Aber Rückschritte sind überall zu verzeichnen, und sind auch in Europa eine Gefahr, wie die zunehmende Gewalttätigkeit gegenüber Frauen zeigt, ganz zu schweigen von den vielen Frauenmorden. Es heißt wachsam bleiben für uns und für alle Frauen auf der Welt!

nd

Lorenzo Vicentini, Synodaler der Gemeinde Mailand: “Unsere Wurzeln sind Ausgangspunkt unseres Handelns”

Lorenzo Vicentini ersetzt die langjährige Synodale der ELKI-Gemeinde Mailand, Doriana del Pizzo. Seit 22 Jahren ist er Mitglied der Gemeinde, wo er sich unter anderem im 2006 gegründeten „Mailänder Forum der Religionen“ engagiert hat. Vicentini spricht perfekt arabisch und verfügt über Grundkenntnisse des Farsi.

Vor 22 Jahren sind Sie über das Christliche Laboratorium zur evangelischen Gemeinde Mailand gestoßen und nun werden Sie sie erstmals als Synodaler im Kirchenparlament vertreten… 

Lorenzo Vicentini: Ja, und ich muss zugeben, dass ich diesen Anlass, meine erste Synode, ein bisschen erlebe wie die erste Einladung im Elternhaus der Verlobten. Es wird ein gegenseitiges Kennenlernen. Und ich bin natürlich sehr motiviert und auch sehr gespannt. Und das nicht nur wegen des Themas, Glauben und Handeln – Fede e Futuro, das meiner Meinung nach das einzige ist, das die vielfältigen diakonischen Initiativen der ELKI mit der Seelsorge vereinen kann, sondern auch wegen der Möglichkeit, mich mit anderen Gemeinden auseinanderzusetzen. Je besser wir vernetzt sind, desto zielgerichteter können wir handeln! 

Kennen Sie schon die anderen 14 Gemeinden?

Lorenzo Vicentini: Ich muss zugeben, dass ich bis heute nur Gelegenheit hatte, unsere Nachbargemeinde Ispra-Varese näher kennenzulernen, abgesehen von einigen kurzen Begegnungen mit der Gemeinde Genua. Für mich sind das Miteinander-Reden, der Ideen- und Gedankenaustausch, die Schaffung von gemeinsamen Standpunkten eine einzigartige Gelegenheit, um gemeinsam Kirche zu leben, um unsere Kräfte zu bündeln und um unseren gemeinsamen Glauben im Handeln umzusetzen.

Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten der ELKI in Bezug auf das Handeln, es handelt sich ja um eine doch sehr kleine Kirche? 

Lorenzo Vicentini: Ich sehe das wie in jedem Verein, in dem Freiwillige tätig sind. Man tut, was man kann und wenn jeder tatsächlich, das tut, was er kann, dann kann man gemeinsam Dinge erreichen und bewegen. Dies ist jedenfalls meine Erfahrung, die sich sowohl in der Claudiana-Arbeitsgruppe als auch im Forum für den interreligiösen Dialog, der mir persönlich ein großes Anliegen ist, bestätigt hat.

Was sagt Ihnen das 70 Jahr Jubiläum der ELKI, das im Rahmen der Synode gefeiert wird?

Lorenzo Vicentini: Vor 70 Jahren war Italien mit Sicherheit ein völlig anderes Land als heute! Wir sind dazu aufgerufen, uns einzumischen, auch in die politische Debatte. Wir sind uns unserer Wurzeln bewusst, das ist der Ausgangspunkt für unser Handeln.

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