Rom, 6. Februar 2024 – Für den Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Ernst-Wilhelm Gohl, lautet die Antwort nein.
Er bezieht sich auf die Situation in Deutschland, insbesondere auf die AfD. Seine Überlegungen können jedoch auch anderswo von Nutzen sein. In Italien zum Beispiel.
Anlass ist das Jubiläum der Zeitschrift „Evangelium und Kirche“1, dem Gesprächskreis-Magazin der Württembergischen Evangelischen Landessynode.
Der Kontext ist also nicht zweitrangig. Die Zeitschrift bietet Raum für Diskussionen über Themen, die für Christen in der Gesellschaft relevant sind. Die über die „einfache Wiederholung und Reflexion der Parteien (rechts/links, konservativ/liberal)“ hinausgehen.
Die jüngsten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus beunruhigen die deutschen Protestanten. Natürlich nicht alle und auch nicht alle gleichermaßen.
Hintergrund sind die Recherchen des gemeinwohlorientierten Medienhauses „Correctiv“. Ein Netzwerk für unabhängigen investigativen Journalismus, das den so genannten „Geheimplan gegen Deutschland“ (hier auf Deutsch) aufgedeckt hat.
Correctiv-Journalisten enthüllten das Treffen, von dem niemand etwas erfahren sollte. Im vergangenen November hatten sich hochrangige Politiker der rechtsextremen Alternative für Deutschland, Neonazis und finanzstarke Unternehmer in einem Hotel bei Potsdam versammelt.
Ihr Programm? Nichts Geringeres als die Entwicklung eines Plans für die Zwangsabschiebung von Millionen von Menschen, die derzeit in Deutschland leben, aufgrund rassistischer Kriterien.
In diesen Kontext fügt sich der Artikel des evangelischen Bischofs Gohl ein. Neben der Warnung, dass jeder, der die Menschenwürde mit Füßen tritt, von Christinnen und Christen nicht wählbar ist, werden die Christen ausdrücklich dazu aufgerufen, sich „diesem Ungeist mutig entgegenzustellen, der sich in den rechtsextremen Deportationsideen ausdrückt“.
Der Mut, sehen zu wollen
Gohl ruft die Christen dazu auf, den Mut zu haben, die Geschehnisse in Deutschland ernst zu nehmen. Ohne zuzulassen, dass „ wir uns durch die üblichen Beschwichtigungsformeln den Blick vernebeln lassen“.
Als Christinnen und Christen glauben wir, dass jeder Mensch Gottes Geschöpf und Ebenbild ist. Er hat eine gottgeschenkte Menschenwürde, die unantastbar ist. […] Das ist keine parteipolitische Aussage, sondern eine theologische.
Ernst-Wilhelm Gohl, Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg
Und in Italien
Natürlich hat jeder Kontext seine eigene Komplexität und seine eigene Geschichte. Die Zunahme rechtsextremer Strömungen in Deutschland bleibt nicht unbemerkt, und die deutschen Protestanten versuchen, mit den Kompromissen klarzukommen, die die Kirchen mit dem Nazi-Regime eingegangen sind.
In Italien herrscht immer noch eine große Zurückhaltung, sich mit diesen Themen zu befassen, ohne sich in eine ideologische Opposition zu begeben.
In den Jahren des faschistischen Regimes spielte die katholische Kirche eine alles andere als marginale Rolle. Aber auch in den anderen religiösen Kontexten gab es einen Prozess der Normalisierung, der, wenn er nicht zu einem begeisterten Bekenntnis zum Faschismus führte, so doch die Kritik am Regime und seinen Handlungen, einschließlich der schändlichen Rassenpolitik, erheblich dämpfte.
Es ist notwendig, wachsam zu bleiben. In diesem Sinne können die Überlegungen von Bischof Gohl auch für uns heute nützlich sein. Als Lutheraner, als Kirche der Italiener und Deutschen, dürfen wir uns nicht von der Welt einschüchtern lassen, aber gleichzeitig dürfen wir auch nicht gleichgültig bleiben gegenüber dem, was um uns herum geschieht.
Das Land, Italien, riskiert keine Rückkehr in die Vergangenheit. Stattdessen läuft es Gefahr, einer düsteren Zukunft entgegenzugehen, in der eine autoritäre Demokratie vorherrscht. Eine Demokratur, wie Eduardo Galeano es nannte.
Der weit verbreitete Rechtsformalismus als Deckmantel für Autoritarismus birgt die Gefahr, dass wir in eine formal konstitutionelle Oligarchie hineingezogen werden. Ein immer enger werdender Raum (und daher auch beruhigend), der allerdings nicht der „schmale Weg“ der Christen ist, sondern eine Einschränkung der bisher mühsam aufgebauten Freiheit in der Gesellschaft.
Luther betrachtete die Freiheit als etwas, das nicht als Eigentum des Menschen gegeben ist. Für ihn war sie vielmehr das Ergebnis der durch Gnade bewirkten Befreiung und die Wirkung der verwandelnden Kraft des Glaubens.
Professor Sergio Rostagno definiert diesen Glauben als die Begegnung mit dem „Wort Gottes, dem Evangelium Jesu Christi“, das „die Person als Subjekt in Freiheit konstituiert“2.
Wir sind also Personen, die ihr Fundament nicht in sich selbst finden, im „verabsolutierten Ich“, sondern in der Beziehung des Andersseins zu Gott. In dieser Beziehung erhalten wir von Gott die Anerkennung unserer Selbst. In dieser Beziehung entdecken wir eine neue Freiheit, eine Freiheit, die zum Dialog führt, die sich für andere und für Engagement öffnet.
Glossar und Erläuterungen Die Evangelische Landeskirche in Württemberg zählt rund 1,8 Millionen Mitglieder. 1Artikel, hier. 2Sergio Rostagno, Doctor Martinus. Studi sulla Riforma, Claudiana, Turin 2015. Titelbild, © taz.de